Als “Am laufenden Band” zum TV-Lagerfeuer wurde

Vor 50 Jahren startete “Am laufenden Band” mit Rudi Carrell, einem klassischen “Showmaster”. Es war die Zeit der großen Samstagabend-Shows.

Kandidaten aus zwei Generationen traten bei "Am laufenden Band" mit Rudi Carrell an
Kandidaten aus zwei Generationen traten bei "Am laufenden Band" mit Rudi Carrell anImago / United Archives

Ein Samstag in Westdeutschland, Mitte der 1970er. Die Kinder waren in der Wanne und dürfen länger aufbleiben, denn die Familie versammelt sich zum gemeinsamen Fernsehabend im Wohnzimmer: Heute präsentiert Rudi Carrell zum ersten Mal seine neue Unterhaltungssendung „Am laufenden Band“. Der schlaksige Niederländer, der die Sendung in der ARD am 27. April 1974 singend eröffnete, war zumindest unter den Jüngeren schnell der beliebteste „Showmaster“, wie das damals hieß.

„Am laufenden Band“ war kurzweilig, auch dank der Spiele der Kandidatenpaare, die aus zwei Generationen kamen: Gefragt waren nicht Allgemeinbildung, sondern Spontaneität, Improvisationstalent und Menschenkenntnis. Höhepunkt war der Schluss, dem die Show ihren Titel verdankte: Sieger oder Siegerin saßen vor einem Laufband, auf dem diverse, oft nur symbolisch gemeinte Gegenstände an ihnen vorbeizogen. Darunter war auch das legendäre Fragezeichen, hinter dem sich in der Regel ein wertvoller Überraschungspreis verbarg. Was sie anschließend innerhalb von 30 Sekunden aufzählen konnten, durften sie behalten. Vorbild war die niederländische Sendung „Een van de acht“.

“Wetten, dass…?” und “Am laufenden Band” waren die goldene Ära

Die Samstags-Fernsehshow-Tradition ist zu diesem Zeitpunkt bereits über 20 Jahre alt.1953 hatte Hans-Joachim Kulenkampff mit dem Quiz „Wer gegen wen?“ begonnen; damals besaß allerdings kaum jemand einen Fernsehapparat. Ihren Höhepunkt hatte diese Ära, die im Rückblick gern als goldene Ära der öffentlich-rechtlichen Fernsehunterhaltung verklärt wird, Mitte der 1980er, als „Wetten, dass..?“ mehrfach mehr als 20 Millionen Zuschauer erreichte.

Aus heutiger Sicht mag „Am laufenden Band“ brav und bieder wirken, aber der freche Holländer Carrell war von ganz anderem Schlag als Kulenkampff. „Er moderierte die Spiele, war Talk-Gastgeber, hat in den Sketchen mitgewirkt und außerdem gesungen. Der Mann war ein klassischer Entertainer“, sagt Medienwissenschaftler Gerd Hallenberger. Mit „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer“ landete Carrell 1975 sogar einen Schlager-Hit.

Sich selbst habe der Showmaster allerdings als Unterhaltungsarbeiter gesehen, der seinen Beruf total ernst nehme, erklärt Hallenberger: „Sein Perfektionismus war berüchtigt.“ Der Schlüssel zu Carrells generationenübergreifenden Beliebtheit sei die Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner seines Publikums gewesen: „Er wollte Fernsehen für alle machen.“

Alte Shows nostalgisch verklärt

Dieses „Alle“ gebe es heute nicht mehr. Dass die alten Shows heute nostalgisch verklärt würden, hängt für Hallenberger „im Zeitalter der zunehmenden Individualisierung und Vereinsamung“ nicht zuletzt mit der Erinnerung an ein Gemeinschaftserlebnis zusammen: „Das alte Fernsehlagerfeuer vermittelte Nähe, Wärme und ein Gefühl von Zusammengehörigkeit.“

Laut ARD-Medienforschung lebten 1974 in den knapp 18,5 Millionen westdeutschen Haushalten mit Fernsehempfang im Schnitt drei Personen. Im heutigen Deutschland sind es fast 39 Millionen Haushalte mit durchschnittlich nicht mal zwei Menschen. Überdies gab es in der Regel nur ein Empfangsgerät und bloß drei Programme. Heute könne man nur noch von „kleinen Feuerchen“ sprechen, sagt Hallenberger. Seine These: „Die Zeit des Verabredungsfernsehens ist vorbei.“

Zu den möglichen Preisen bei "Am laufenden Band" gehörte auch das legendäre Fragezeichen
Zu den möglichen Preisen bei "Am laufenden Band" gehörte auch das legendäre FragezeichenImago / Allstar

Das sieht man bei den Sendern allerdings ganz anders. Eine Sprecherin der ARD-Programmdirektion verweist auf den „Eurovision Song Contest“, der regelmäßig ein zweistelliges Millionenpublikum erreiche. ARD-Medienforscher Stefan Geese widerspricht auch der Vereinzelungsthese: Bei den klassischen Familienshows im Ersten, etwa „Klein gegen Groß“ oder „Frag doch mal die Maus“, säßen viele Eltern gemeinsam mit ihren Kindern vor den Geräten.

Florian Kumb, Leiter der ZDF-Programmplanung, ergänzt, Fernsehen sei zwar kein Gruppenerlebnis mehr, „aber der Fernseher bleibt ein Ort gemeinschaftlichen Medienerlebens.“ Bei ZDF-Sendungen habe der Anteil des gemeinsamen Sehens beim Fernsehpublikum ab drei Jahren 2023 im Schnitt bei 39 Prozent gelegen.

Rudi Carrell startete durch nach “Am laufenden Band”

Und ProSiebenSat.1-Sprecher Christoph Körfer erklärt: „Für den Samstag gilt wie für jeden anderen Wochentag: Wenn eine Show den Nerv trifft, versammeln sich Millionen von Menschen in den Wohnzimmern.“ RTL-Sprecher Claus Richter weist zudem darauf hin, dass es aus Sendersicht nicht entscheidend sei, ob eine Show linear oder im Stream gesehen werde: „Wenn wir von Lagerfeuer sprechen, dann vor dem Hintergrund wandelnder Mediennutzung“. Dazu zähle heute auch der digitale Austausch.

Das lasse sich nach Ansicht Hallenbergers aber nicht mit der goldenen Show-Ära vergleichen: „Es ist natürlich ein Unterschied, ob eine Familie ein Gemeinsamkeitserlebnis hat oder ob man sich Kurznachrichten schickt, bei denen es oft nur darum geht, wer die originellsten Kommentare schreibt.“

Für „Am laufenden Band“ war Silvester 1979 Schluss, für Rudi Carrell ging es mit Sendungen wie „Rudis Tagesshow“ und „Herzblatt“ weiter. Er starb 2006 in seiner Wahlheimat Bremen an den Folgen einer Krebserkrankung.