Ex-Verfasssungsrichter Papier für Enquete-Kommission zu Corona

Viele Corona-Entscheidungen seien komplett an den Parlamenten vorbei gelaufen. Hans-Jürgen Papier plädiert deshalb für eine Aufarbeitung. Das helfe auch, Verschwörungstheorien zu verhindern.

In der Debatte um eine Aufarbeitung der Corona-Politik spricht sich der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, für eine Enquete-Kommission des Bundestags aus. Sie könne darüber beraten, „wie man unter Wahrung der rechtsstaatlichen Grundsätze, auch der demokratiestaatlichen Grundsätze, das Parlament, also die vom Volk gewählte Vertretung, stärker von Anfang an in die Entscheidungsprozesse einbeziehen kann“, sagte Papier am Sonntagabend im ZDF.

Der Jurist, der von 2002 bis 2010 Präsident des Bundesverfassungsgerichts war, kritisierte insbesondere weitreichende, flächendeckende Grundrechtsbeschränkungen während der Corona-Zeit. Er verwies auf rigorose Ausgangssperren, so dass Einzelpersonen nach 22 Uhr die Wohnung nicht mehr verlassen durften. „Ein Infektionsrisiko, ein Ansteckungsrisiko war ja ersichtlich in einem solchen Fall nicht gegeben.“ Auch bei den Schulschließungen sei in vielen Fällen versäumt worden, eine Abwägung vorzunehmen zwischen der Schwere der verfügten Grundrechtsbeschränkungen einerseits und dem denkbaren Nutzen oder der denkbaren Notwendigkeit der Schutzmaßnahmen andererseits. Papier kritisierte in diesem Zusammenhang auch, dass Grundrechtseinschränkungen durch Verordnungen der Regierungen in Kraft gesetzt worden seien und das Parlament in keiner Weise beteiligt gewesen sei.

Der Jurist betonte, eine Enquete-Kommission sei ein geeignetes Instrument, um aus der Corona-Pandiemie und den dabei begangenen Fehlern zukunftsorientierte Strategien zu entwickeln. Untersuchungsausschüsse neigten dazu, bestimmte Amtsträger in die Rolle eines Angeklagten zu versetzen. „Das wäre nicht sinnvoll in dieser Phase. Ein Untersuchungsausschuss würde der weiteren Spaltung der Gesellschaft dienen, größeren Streit verursachen und alte Wunden aufreißen.“

Natürlich werde es immer Leute geben, die „von einer fast manischen Verschwörungstheorie ausgehen, dass das alles im Grunde nur von der Politik absichtlich inszeniert wurde, um die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes gewissermaßen an diktatorische Handlungen oder Maßnahmen zu gewöhnen. Das ist natürlich alles Unfug“, so Papier. Aber umso wichtiger sei es, dass eine sachkundige Analyse erfolge. „Und dass man auch überlegt, wie künftig das Gemeinwesen, der Staat, angemessen auf solche Notlagen, die immer wieder auftreten können, reagieren – unter Wahrung von Demokratie und Rechtsstaat.“