Ethikerin kritisiert Sprache bei Abtreibung und Kinderwunsch
Ein Kind zu bekommen – oder nicht – ist ein Thema, das Menschen emotional tief berührt. Eine Ethikerin kritisiert, dass in der Debatte versucht werde, über die Sprache Einfluss zu nehmen.
Reproduktionsbiografie? Kinderwunschbehandlung? Die Bochumer Biologin und Sozialethikerin Sigrid Graumann kritisiert in der Debatte um Abtreibung und Kinderwunschmedizin die verwendete Sprache. „Das ist ein sehr emotionales Thema und deshalb glaube ich, dass bei den verwendeten Begriffen eine Strategie dahintersteckt“, sagte die Rektorin der Evangelischen Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe am Montag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin.
Immer dann wenn es um die technische Unterstützung für den Kinderwunsch gehe, werde mit emotionalisierten Begriffen wie „Kinderwunschbehandlung“ das Thema in den Bereich des guten Lebens gerückt. Beim Thema Schwangerschaftsabbruch dagegen werde versucht, das Thema herunterzukühlen und die Emotionen herauszunehmen, sagte sie mit Blick auf den von den Autoren der jetzt vorgestellten „Elsa-Studie“ verwendeten Begriff der „Reproduktionsbiografie“. „Das erinnert mich stark an die ‚Erwerbsbiografie‘; es hört sich nach rationaler Lebensplanung an, die aber oft nicht funktioniert.“
Graumann wandte sich gegen diese Form von Sprachpolitik, die den ernsten ethisch-politischen Diskurs nicht ersetzen könne. „Wir müssen diese Debatte führen und wir müssen dabei den Frauen gerecht werden.“ Auch ein Ausdruck wie „Schwangerschaftsgewebe“ sei ein Versuch der Verharmlosung, der dem inneren Konflikt, in der sich ungewollt Schwangere befinden würden, in der Regel nicht entspreche.
„Wir dürfen Frauen nicht moralisch unter Druck setzen, aber den Schwangerenkonflikt auch nicht banalisieren. Der ist für viele Frauen existenziell, und das muss respektiert werden auch in der Art, wie wir darüber reden“, so die Humangenetikerin. „Als ich schwanger war, habe ich nicht im Kopf gehabt, dass ich mich damit reproduziere.“
Auch den Begriff „ungeborenes Leben“ lehnt die Expertin ab. „Das finde ich irreführend. Der Ausdruck ist zu abstrakt und lenkt vom Einzelschicksal und den Konflikten ab, die man mit seiner Schwangerschaft eventuell haben kann.“ Grundsätzlich bevorzuge sie die biologischen Begriffe wie Embryo (bis zur 8. Woche) und Fötus (ab der 9. Woche).
Zudem sei es sinnvoll, in der Diskussion um Familienplanung neutrale Begriffe zu verwenden, die vom Großteil der Bevölkerung auch verstanden werden müssten, so Graumann weiter. Sonst entstehe eine exklusive Debatte. Fachbegriffe wie „In-Vitro-Fertilisation“ könnten etwa mit „Befruchtung im Labor“ übersetzt werden.