Es wird unübersichtlich: Neue Abtreibungskonflikte in den USA

Im Juni 2022 hat das Oberste Gericht der USA sein historisches Urteil von 1973 zur Legalisierung der Abtreibung gekippt. Die von Abtreibungsgegnern erhoffte Zeitenwende blieb aus, obwohl in Bundesstaaten mit Verboten die Zahl der Abtreibungen dramatisch zurückgeht. In manchen Staaten hingegen steigen die Zahlen nach Angaben des grundsätzlich abtreibungsfreundlichen Familienplanungsverbandes Guttmacher Institute von Anfang September.

Wie zum Beispiel in Colorado. „Wir trauern über die zunehmende Zahl von Abtreibungen in Colorado“, erklärten die römisch-katholischen Bischöfe von Colorado laut Rundfunksender „Colorado Public Radio“ im September. „Guttmacher“ zufolge ist in Colorado die Zahl der im Gesundheitswesen erfassten Abtreibungen im ersten Halbjahr 2023 gegenüber dem Vergleichszeitraum 2020 um 89 Prozent oder rund 6.000 gestiegen. Frauen kämen aus Texas, Wyoming und Oklahoma, die Abtreibungen verbieten.

Seit dem als „Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization“ bekannten Urteil haben laut einer Aufstellung der „New York Times“ fünfzehn der fünfzig Staaten, vornehmlichem im Süden, Abtreibung in fast allen Fällen verboten. Zwei Staaten verbieten Schwangerschaftsabbruch nach der sechsten Woche, zwei nach der zwölften und zwei nach der fünfzehnten Woche. Im Westen und im Nordosten ist Schwangerschaft weitgehend legal, auch in Kalifornien und New York.

Die „Abtreibungslandschaft“ habe sich dramatisch verändert, sagte die Geschäftsführerin des Guttmacher-Instituts, Herminia Palacio. Abtreibungen nähmen zu in Staaten, in deren Nachbarschaft Verbotsstaaten liegen. Es gebe jedoch noch keine festen Daten über nationale Trends. Unsicher sei zudem, wie viele Schwangerschaften außerhalb des Gesundheitswesens abgebrochen werden.

Manche Abtreibungsgegner überlegen, ob sie Reisen zur Abtreibung stoppen können. Der Generalstaatsanwalt von Alabama, Steve Marshall, erklärte Ende August, der Staat sei berechtigt, Menschen den Prozess zu machen, die sich in Alabama „verschwören“, um Frauen bei der Reise zum Schwangerschaftsabbruch in andere Staaten zu helfen.

In manchen Kommunen im Verbotsstaat Texas sind Vorschriften im Gespräch, Frauen die Nutzung öffentlicher Straßen zu verbieten, wenn sie zu einer Abtreibung fahren wollen. Der Stadtrat der Kleinstadt Llano habe beschlossen, die Abstimmung über eine solche Vorschrift vorläufig aufzuschieben, berichtete der Fernsehsender KVUE Anfang September. Offen ist, wie das Gesetz umgesetzt würde.

Unklar ist zudem, wie viele Frauen Schwangerschaftsabbrüche medikamentös vornehmen. Gegenwärtig wird ein Verfassungsurteil zum Antrag von Abtreibungsgegnern erwartet, der Abtreibungspille Mifepriston die Zulassung zu entziehen.

Der republikanische Senator Tommy Tuberville hat den Abtreibungsstreit zur Frage der nationalen Sicherheit gemacht. Der Politiker aus Alabama blockiert seit Monaten die Beförderung und Ernennung von mehr als dreihundert Offizieren. Er protestierte damit gegen Regeln des Verteidigungsministeriums, Soldatinnen Reisekosten zu erstatten, die im Rahmen von Abtreibungen angefallen sind. Marineminister Carlos Del Toro warnte im Sender CNN, die Blockade schade der Einsatzbereitschaft der Truppe. Hintergrund des Streits ist die Regel, wonach der Senat Ernennungen und Beförderungen zu den obersten Dienstgraden bewilligen muss. Ein einziger Senator kann den Prozess stoppen.

Abtreibung bleibt in den USA ein emotional hoch besetztes Streitthema. Umfragen zeigen, dass die Mehrheit ein Verbot ablehnt. Befürworter des Rechts auf Abtreibung hoffen auf Plebiszite. Bei den Volksabstimmungen 2022 in Kansas, Kalifornien, Vermont und Kentucky haben Befürworter des Rechtes gewonnen. Für November 2024 sind Volksentscheide in mehreren Staaten geplant, darunter Arizona, South Dakota, Florida, Ohio und Missouri.

Für republikanische Präsidentschaftskandidaten ist es heutzutage nicht mehr so leicht wie früher, mit dem Thema die Basis zu mobilisieren. Sie präsentieren sich gern als Schützer ungeborenen Lebens, sind jedoch vorsichtig mit konkreten Gesetzesvorlagen. Denn Abtreibungsverbote sind bei Vorwahlen oft mehrheitsfähig, nicht aber bei den Hauptwahlen. Der frühere Vizepräsident Mike Pence möchte ein Abtreibungsverbot nach der sechsten Schwangerschaftswoche. Donald Trump will die Entscheidung den Staaten überlassen. Der Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, hat im April in Florida ein Verbot nach der sechsten Woche unterzeichnet. Nikki Haley sagt, ein nationales Verbot sei nicht durchsetzbar.