Erzbischof Heiner Koch über AfD, Lebensschutz und Fußball

Der Berliner Erzbischof erklärt, was Fußball und Ostern gemeinsam haben. Von aggressiven Gebeten im Namen des Lebensschutzes hält er nichts. Beim Thema AfD sucht er auch das Gespräch mit sympathisierenden Christen.

Vor Ostern blickt der katholische Berliner Erzbischof Heiner Koch mit Sorge auf die gesellschaftspolitischen Entwicklungen. Kirche dürfe sich da nicht heraushalten, sagte er am Donnerstag im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin. Der Schutz des ungeborenen Lebens ist ihm ein wichtiges Anliegen. Klar grenzt er sich dabei gegen AfD-Positionen ab, aber auch gegen Abtreibungsgegner, die laut und aggressiv Gebete als Machtdemonstration vor Beratungsstellen und Abtreibungspraxen missbrauchten.

KNA: Herr Erzbischof, die Welt ist derzeit nicht so österlich und friedlich. Hass und Polarisierung haben zugenommen. Verbunden mit Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. Was sind aus Ihrer Sicht die tieferen Ursachen dafür?

Koch: Ich fürchte, dass der Antisemitismus in der Gesellschaft der Bundesrepublik immer schon da war. So unbegreiflich dies auch sein mag. Gerade vor dem Hintergrund der besonderen deutschen Geschichte. Neu ausgelöst hat das Ganze in jüngster Zeit sicherlich der Krieg, den die Hamas gegen Israel entfacht hat und die kriegerische Auseinandersetzung, in die Israel hineingekommen ist. Das hat Emotionen wachgerufen.

KNA: Die katholischen Bischöfe haben in einer gemeinsamen Stellungnahme völkisch-nationalistischen Umtrieben und Parteien wie die AfD eine klare Absage erteilt. Wie ist das Schreiben aufgenommen worden?

Koch: Überwiegend positiv. Viele waren erleichtert, dass wir klar und eindeutig reagiert haben. Gerade weil in diesem Jahr Landtagswahlen, Kommunalwahlen und die Europawahlen auf dem Programm stehen. Es gab aber auch Ablehnung von Menschen, die es nicht mögen, wenn sich die Kirche in die Politik einmischt oder die als Wähler, die der AfD nahestehen, uns Bischöfen eine Falschdarstellung der Wirklichkeit unterstellten.

KNA: Was sagen Sie solchen Kritikern?

Koch: Ich suche mit allen das Gespräch und versuche ihren Standpunkt und ihre Motivation zu verstehen, erkläre aber auch unseren Standpunkt als Kirche. Es geht bei diesem Thema schließlich auch um den Frieden in der Kirche. Ich suche deshalb nach Lösungen ohne faulen Kompromiss.

KNA: Was sagen Sie denen, die möchten, dass die Kirche sich aus der Politik raushält?

Koch: Die Kirche darf sich nicht raushalten, denn die christliche Botschaft umfasst immer auch das gesellschaftliche Leben. Wir sehen uns in der Mitverantwortung für die Demokratie. Wir haben es in Deutschland erlebt, was es bedeutet, wenn man zu spät oder gar nicht reagiert. Wir können nicht zulassen, dass Menschen unterschiedlich klassifiziert werden. Dass man ihre Rechte einschränkt oder eine grundsätzliche Ablehnung gesät wird. Das ist mit der menschlichen Würde nicht in Einklang zu bringen.

KNA: Ein Thema, bei dem häufig die katholische Kirche und rechte Kreise in die gleiche Ecke gestellt werden, ist der Lebensschutz, sprich das Thema Abtreibung. Was tun Sie als Bischof, um diese Verwechslungsgefahr zu umgehen?

Koch: Ich habe da immer wieder klar Position bezogen. Erstens: Wir sind für den Schutz des Lebens in all seinen Phasen. Und wir setzen uns für den Schutz des Lebens aller Menschen ein; Religion oder Herkunft macht da keinen Unterschied. Die menschliche Würde und der Schutz des Lebens sind unteilbar. Deshalb – zweitens – ist für mich eine Begrenzung des Lebensschutzes aus völkisch-nationalistischen oder bevölkerungspolitischen Motiven, etwa nur auf deutsche Kinder und Familien, inakzeptabel.

KNA: Werden Sie sich dieses Jahr wieder an dem umstrittenen Marsch für das Leben in der Hauptstadt beteiligen?

Koch: Dieses Mal passt es terminlich nicht. Aber das Anliegen teile ich: Wir haben eine Verpflichtung, die Stimme des ungeborenen Kindes in dieser Gesellschaft zur Sprache zu bringen. Das geschieht in der gegenwärtigen Debatte meines Erachtens zu wenig. Am liebsten wäre mir, es würde sich eine große kirchliche Bewegung finden, die dafür auf die Straße geht. Das habe ich auch schon mehrfach ins Spiel gebracht.

KNA: Und?

Koch: Ich werbe weiter dafür. Denn es ist richtig, auf die Schutzpflicht gegenüber dem ungeborenen Leben aufmerksam zu machen, man muss aber auch immer darauf achten, es in Sprache und Auftreten in angemessener Weise zu tun. Eine Polarisierung wird diesem Thema nicht gerecht, wie auch vielen anderen Themen nicht.

KNA: Der Bundesregierung hat einen Gesetzesentwurf gegen radikale Proteste vor Abtreibungspraxen verabschiedet, die sogenannte Gehsteigbelästigung. Ihre Einstellung zu dem Thema?

Koch: Es greift ein berechtigtes Anliegen auf. Frauen dürfen in ihrer Notsituation nicht noch stärkerem Druck ausgesetzt werden. Auch wenn sie etwa eine Beratungsstelle aufsuchen. Andererseits bin ich sehr sensibel, wenn man das Recht, für den Schutz des ungeborenen Lebens zu demonstrieren, beschränken will.

Zugleich halte ich einen Spießrutenlauf von Frauen vor Beratungsstellen und Abtreibungspraxen für unzumutbar. Ich bin dagegen, wenn Abtreibungsgegner etwa laut und aggressiv Gebete als Machtdemonstration missbrauchen. Ein stilles, angemessenes, gegenüber der schwangeren Frau in ihrer vulnerablen Situation nicht übergriffiges Verhalten, dürfte aber auch nach der Rechtsprechung zu akzeptieren sein.

KNA: Sie sind Fußballfan. Zum Abschluss deshalb eine Elfmeter-Frage: Warum sollten Menschen, die nichts mit Kirche und Glaube am Hut haben, zum Karfreitag oder zum Osterfest in die Kirche gehen?

Koch: Fußball lebt von Gemeinschaft, die Kirche auch. Ein Fußball-Spiel ist ein Gemeinschaftserlebnis für Mannschaft und Fans; Ostern ist ebenfalls ein Fest für die Gemeinschaft. Dazu kommt: Man weiß beim Fußball nie, wie das Spiel ausgehen wird, auch wenn es Favoriten gibt. Ich hoffe, dass für Christen wie auch für Nicht-Christen von Ostern eine gewisse Verunsicherung ausgeht. Ostern ist doch das Fest des Unerwarteten.