EKD-Sportbeauftragter Latzel hofft auf faire und emotionale EM

Fußball ist auch für den Sportbeauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Thorsten Latzel, eine der schönsten Nebensachen der Welt. Er sei beeindruckt von Leidenschaft, Emotionen und der Atmosphäre in einem großen Stadion, sagte Latzel kurz vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft dem Evangelischen Pressedienst (epd). Im epd-Gespräch äußerte sich der leitende Theologe der rheinischen Landeskirche auch zu einem möglichen Sommermärchen, Rassismus im Fußball, sportlichen Großereignissen und der Frage nach einem Fußballgott.

epd: Am Freitag beginnt die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland. Viele hoffen auf ein Sommermärchen wie bei der Heim-WM 2006. Kann in diesem Jahr genauso unbeschwert gefeiert werden?

Latzel: Die Situation in Deutschland ist eine andere als 2006: In der Ukraine und im Nahen Osten wird Krieg geführt und die Gesellschaft ist insgesamt von Krisen geschüttelt. Dennoch sollten wir die Fußball-EM feiern und auf gute, faire Begegnungen hoffen. Ob das Wort Sommermärchen dafür angemessen ist, sehe ich skeptisch – der Begriff ist ja ambivalent.

epd: Inwiefern?

Latzel: Sommermärchen hat etwas von einem Traum, von einem Kampf des Guten gegen das Böse, von einer Kinderwelt oder einer schönen Parallelwelt. Sport ist aber Teil unserer demokratischen, offenen Gesellschaft, in der es wesentlich um Werte geht. Als Kirchen wollen wir dazu unseren Beitrag leisten.

epd: Wie sieht dieser Beitrag konkret aus?

Latzel: Die beiden großen Kirchen haben auf der ökumenischen Internetplattform www.fussball-begeistert.de eine ganze Reihe von Angeboten und Materialien zusammengestellt, etwa für Gottesdienste, Gemeindebriefe oder Social-Media-Arbeit. Die Seite enthält auch Denkanstöße zum Thema Fußball und zu den einzelnen Begegnungen. Auf einer anderen Plattform können Fans für andere Fans eine Übernachtungsmöglichkeit anbieten – ganz im Sinne christlicher Gastfreundschaft. Dies ermöglicht Begegnungen über Grenzen hinweg.

An den zehn Spielorten wird es viele Gottesdienste geben. Ich selbst gestalte vor dem Eröffnungsspiel in München mit dem katholischen Sportbischof Stefan Oster einen ökumenischen Gottesdienst. Aber auch in Düsseldorf, Köln, Gelsenkirchen oder Dortmund werden Gottesdienste anlässlich der Spiele gefeiert. Vielerorts bieten Gemeinden Public Viewing an und es gibt Veranstaltungen rund um die Fanmeilen, wo wir als Christen zeigen, dass wir ein einladendes, weltoffenes Land sind.

epd: Spielen bei den Angeboten auch ethische und soziale Aspekte eine Rolle?

Latzel: Unbedingt. Wir setzen uns für einen Sport ein, in dem Fairness, Respekt und Teamgeist wichtig sind und der für Weltoffenheit und Integration steht. Wir wollen, dass Fußballerinnen und Fußballer ein positives Beispiel für junge Menschen sind. Abgrenzung ist geboten, wenn es um Gewalt gegen andere Mannschaften, Fans oder die Unparteiischen geht. Auch Doping oder einer politischen Instrumentalisierung des Sports stellen wir uns entgegen.

epd: Zwischen Fußball und Religion gibt es viele Ähnlichkeiten wie Singen, Rituale und Symbole. Stört es Sie, wenn zum Beispiel von einem „Fußballgott“ gesprochen wird?

Latzel: Zum Thema Fußballgott hat Jürgen Klopp in unnachahmlicher Weise klargestellt: Es gibt keinen Fußballgott, sondern nur einen Gott, der die Menschen liebt. Dieser Gott liebt eben auch Fußball, weil er die Menschen liebt. Man sollte den Fußball nicht theologisch-geistlich überhöhen. Er ist eine der schönsten Nebensachen der Welt, an der viele Menschen Freude haben.

Zu den Parallelen zwischen Sport und Religion: In beiden geht es um Erfahrungen von Gemeinschaft, um Regeln, um Leidenschaft und Disziplin, Rituale und einen guten Teamgeist. Sport trainiert den Körper, im Glauben geht es um das Training für die Seele. Auch das braucht Übung. Im Sport ist die Mannschaft wichtig, im Glauben die Gemeinschaft mit der Gemeinde vor Ort wie mit den ökumenischen Geschwistern weltweit. Natürlich geht es im Glauben immer auch um Größeres, um die letzten Fragen von Leben und Sterben, um das Vertrauen, dass die ganze Schöpfung und wir selbst von Gott gehalten sind.

epd: Was kann Kirche vom Fußball lernen – sind Sie manchmal neidisch auf überbordende Emotionen, die ganze Menschenmengen erfassen, während es in der Kirche häufig eher ernst und würdevoll zuzugehen scheint?

Latzel: Es ist gut, dass wir mit unseren Kirchen Orte der Stille haben, in denen Menschen einkehren und zu sich selbst, zu Gott und zum Nächsten finden können. Zugleich ist es beeindruckend, wenn man die Atmosphäre eines großen Fußballstadions erlebt, etwa das DFB-Pokalfinale in Berlin mit 75.000 Menschen. Leidenschaft und Emotionen – das ist etwas, das uns auch als Kirche guttut und von dem wir noch mehr gebrauchen können.

epd: Großereignisse wie die EM oder die bevorstehenden Olympischen Spiele in Paris sind umstritten, unter anderem wegen der Ausgaben öffentlicher Gelder. Wie blicken Sie auf solche Großveranstaltungen?

Latzel: Ich würde mir zunächst wünschen, dass viel mehr verschiedene Sportarten in den Blick kommen. Die olympischen Spiele ab Ende Juli in Paris können hier den Blick weiten. Grundsätzlich sind sportliche Großereignisse ambivalent: Sie ermöglichen Völkerverständigung und Begegnungen über Grenzen hinweg, müssen aber eingebunden sein in die Gesellschaft. Problematisch ist, wenn zu viel Geld im System steckt wie im Profifußball. Das führt leicht zu einer Entkopplung von der Gesellschaft und auch zu Korruption. Sportliche Veranstaltungen dürfen nicht zu sehr kommerzialisiert oder für politische Ziele verzweckt werden.

epd: Die WM 2034 wird vermutlich an Saudi-Arabien vergeben. Täuscht der Eindruck, dass es hier vor allem um Geld, Macht und Einfluss geht?

Latzel: Es ist gut, wenn sportlicher Wettkampf international in verschiedenen Ländern ausgetragen wird. Er darf aber nicht zum Greenwashing von totalitären Staaten instrumentalisiert werden. Insbesondere bei Großereignissen müssen wir zudem Sorge tragen, dass Menschenrechtsstandards und ökologische Standards eingehalten werden. Wir wollen eine weltoffene Begegnung von Menschen aus verschiedenen Ländern und eine Förderung von demokratischen Rechten.

epd: Rassismus und Diskriminierung im Fußball sind ein großes Thema – sowohl auf dem Platz als auch unter den Fans. Eine WDR-Umfrage hat ergeben, dass sich jeder fünfte Deutsche mehr Nationalspieler mit weißer Hautfarbe wünscht. Wie gehen Sie damit um?

Latzel: Ich finde es erschreckend, dass das überhaupt ein Thema ist. Für uns als Christinnen und Christen ist klar, dass Fragen von Herkunft, sexueller Orientierung, Religion oder Hautfarbe hier keine Rolle spielen dürfen und dass wir für eine Gesellschaft stehen, in der man ohne Angst verschieden sein kann. Wir dürfen es nicht hinnehmen, dass rassistische Diskriminierungen in den verschiedenen Ligen immer noch zum Alltag gehören. Es braucht mehr Selbstverständlichkeit, dagegen aufzustehen, gerade, wenn man von einer Vorbildfunktion des Fußballs ausgeht. Das betrifft etwa auch die Frage von Homosexualität, die im Profi-Fußball noch weithin tabuisiert ist.

epd: Was könnten die Kirchen beitragen, um Respekt und interkulturellen Dialog zu stärken, auch zwischen den Fans?

Latzel: Es gibt christliche Fanclubs und gemeinsame Aktionen, bei denen wir zusammen für Werte eintreten. In mehreren Stadien werden in Kapellen regelmäßig Gottesdienste gefeiert. Letztlich sollte sich jede und jeder fragen: Wofür trete ich ein? Was lebe ich anderen Menschen als Vorbild vor?

epd: Welche Botschaft würden Sie Fans und Mannschaften im Blick auf christliche Werte gerne vermitteln?

Latzel: Mir gefällt ein Satz von Franz Beckenbauer: „Geht‘s raus und spielt‘s Fußball.“ Schönen, fairen Fußball, der anderen Menschen Freude bereitet. Lasst uns im Gegenspieler immer zunächst den Mitmenschen sehen. Die goldene Regel aus der Bergpredigt, die Jesus uns gelehrt hat, gilt auch im Sport: Alles, was du willst, dass dir die anderen tun, das tue ihnen auch.

epd: Wie intensiv verfolgen Sie die EM persönlich: vor dem Fernseher oder im Stadion, tippen und fiebern Sie mit?

Latzel: Die Spiele der deutschen Mannschaft stehen bei mir fest im Kalender, und ich freue mich sehr darauf, sie gemeinsam mit anderen zu schauen, in der Familie oder mit anderen beim Public Viewing. Es ist ein wunderschönes Erlebnis, die Emotionen mit anderen Menschen zu teilen. Ich freue mich über gute Spielzüge und gute Spiele.

epd: Wie weit kommt Deutschland im Turnier und wer wird Weltmeister?

Latzel: Es gilt wie immer: Möge die beste Mannschaft gewinnen. Ich hoffe natürlich, dass es die deutsche ist. Zum Teamgeist gehört aber auch, bei einem schlechten Spiel trotzdem zu den eigenen Leuten zu halten. Allen Spielern und Fans wünsche ich Gottes Segen und dass sie behütet sind.

epd: Bei einer Niederlage, erst recht im Finale, fließen meist Tränen. Kann der Sport vom christlichen Glauben lernen, wie man mit Niederlagen umgeht?

Latzel: Niederlagen gehören zum Sport. Es ist wichtig, ein fairer Verlierer zu sein. Man lernt, wieder aufzustehen. Letzten Endes geht es in unserem ganzen Leben immer wieder darum, aufzustehen, mit Verlusten umzugehen, neue Hoffnung zu bekommen. Dafür ist es gut, auf Gott zu trauen, der uns in den Höhen und Tiefen des Lebens bewahrt.