Einsatz im Mittelmeer

Christoph Sommer ist Evangelischer Militärpfarrer und hat die Soldaten der „Lübeck“ in den Einsatz begleitet. Im Interview spricht er über das Leben auf See – zwischen Flüchtlingsbooten und Bordalltag.

Gottesdienst an Deck: Die Soldaten versammeln sich um Militärpfarrer Christoph Sommer
Gottesdienst an Deck: Die Soldaten versammeln sich um Militärpfarrer Christoph SommerDaniel Epkenhans / Bundeswehr

Im Herbst waren Sie beim Marineeinsatzverband „Standing NATO Maritime Group 2“. Wo waren Sie unterwegs?
Christoph Sommer: Wir waren in der Ägäis, zwischen griechischer und türkischer Küste. Das ist ein überschaubares Seegebiet, also relativ kurze Wege zwischen den Landungspunkten. 
Was war das Besondere an dieser Fahrt?
Die Besatzung beobachtet bei diesem Einsatz, wo und wie Schleuser aktiv sind und gibt diese Informationen weiter an die Anrainerstaaten und die europäische Grenzschutzagentur Frontex. Mit an Bord war daher ein Stab aus je einem Offizier aus Griechenland und der Türkei sowie einem rumänischen Mitarbeiter von Frontex. Ansonsten fühlt sich Seefahrt eigentlich immer ähnlich an: weg von zu Hause, Bordroutine, Enge auf dem Schiff und das schöne weite Meer ringsum. 
Ist die politische Lage in der Region ein Thema?
Im Sommer war die Stimmung zwischen der Türkei und der EU, vor allem Deutschland, sehr angespannt. Das spürte man, auch im internationalen Stab, es spielte jedoch für den Alltag oder Landaufenthalte wie in Izmir kaum eine Rolle. Wobei die Soldaten je nach Aufgabe die Situation unterschiedlich intensiv erleben. Menschen, die übers Mittelmeer nach Europa fliehen, waren Anlass, aber nicht unmittelbarer Inhalt des Einsatzes. Gerade der 1. Offizier versuchte immer wieder, diese spezielle Aufgabe und das Primat der Politik darzulegen: Wenn ein Flüchtlingsboot gesichtet wurde, wurde das als Ereignis gemeldet, damit die griechische und türkische Küstenwache retten konnten – die „Lübeck“ selbst übernahm das gemäß internationalem Seerecht nur, wenn die Wachen nicht in der Nähe waren. Gerade Soldaten, die schon bei der Operation Sophia dabei gewesen waren und Flüchtende aus Seenot gerettet hatten, beschäftigten deren Schicksal und die Gründe für die gefährliche Flucht sehr. Darüber redet man dann aber eher mal beim Mittagessen als bei einem Seelsorgegespräch. 
Worüber sprachen die Soldaten dann mit Ihnen?
Oft geht es um Probleme zwischen einzelnen Kameraden: Nach den ersten vier bis sechs Wochen gibt es oft Stimmungsdellen an Bord und daheim, und dann knirscht es hier schneller – da versuche ich zu vermitteln. Oder jemand ist frisch an Bord und merkt erst da, dass Seefahrt nicht das Richtige ist: Dann helfe ich bei der Suche nach Alternativen oder frage womöglich, ob er früher von Bord kann. Das wichtigste Thema aber ist die Trennung von ihren Familien daheim: Die meisten fahren wirklich gern zur See – bloß wären sie eben auch gern öfter zu Hause.
Und was bedeutet das, wenn das eben nicht geht?
Nicht alle Partnerinnen können auf Dauer akzeptieren, dass der seefahrende Soldat so oft so lange weg ist. Falls es hakt, kann ich versuchen, die Soldaten in dieser Problematik mit ihrer Familie zu begleiten. Und kann bei größeren, akuten Problemen auch mal das Psychosoziales Netzwerk zu Hause aktivieren: Die organisieren notfalls sogar mal eine Garagentorreparatur oder die Kinderbetreuung.
Wie sieht Ihr Tagesablauf an Bord aus?
Das ist bei den meisten Seefahrten ähnlich: Ich stehe um 7 Uhr auf. Nach dem Frühstück beginnt um 8 Uhr der Dienst mit organisatorischen Dingen. Um 8.30 Uhr ist die erste Musterung mit Lagebericht und Ausblick auf den Tag. Dazu versammeln sich die sechs Hauptabschnitte: Als Pfarrer werde ich gemeinhin den Soldaten der Zentralen Dienste wie Versorgung und Kombüse zugeordnet. Am Vormittag besuche ich die Soldaten auf den Wachstationen, dann nehme ich um 11 Uhr an der Offizierslage teil. Nach dem Mittagessen folgt noch eine Musterung mit aktuellen Berichten. Am Nachmittag laufen Übungen wie „Feuer im Schiff“ und „Mann über Bord“ oder – je nach Lage und Zeitplan – lebenskundlicher Unterricht. Ich habe zum Beispiel mal Unterricht zum Thema Tod und Belastung gehalten. Ab 17 Uhr wird zu Abend gegessen, danach noch eine Besprechung beim Kommandanten mit den Hauptabschnittsleitern. Natürlich feiern wir an Bord auch Gottesdienste, meist sonntagabends. Soldaten quer durch alle Dienstgrade nahmen daran teil, und hinterher blieben alle zum „Kirchencocktail“: Das waren wirklich besondere Zeiten.
Gibt es auf See für Sie so etwas wie Feierabend?
Ja, wie alle anderen kann ich in meiner dienstfreien Zeit lesen oder Briefe schreiben. Oder auch mal an einem Skatturnier teilnehmen. Ich schnacke gern mit den Soldaten – wobei solche Gespräche gelegentlich in seelsorgliche Themen münden. Aber dafür bin ich ja an Bord, um für die Soldaten, und zwar für alle Dienstgrade, da zu sein. Ruhige Zeiten für mich selbst nehme ich mir daher vor allem morgens, etwa wenn ich die biblischen Tageslosungen lese. An Bord teilt man sich ja fast immer die Kammer mit jemandem – dieses Mal bin ich zusammen mit dem 1. Schiffsversorgungsoffizier untergebracht gewesen: Dass man sich gut arrangieren muss und kann, wussten wir beide schon, daher hat das gut geklappt.
Wie war die Rückkehr für Sie? 
Mit meinen 1,94 Meter Körperlänge habe ich es sehr genossen, mich im Bett mal wieder ausstrecken zu können. Und es hat mir gut getan, mit Familie und Freunden reden zu können.
Der Beitrag ist zuerst erschienen im JS-Magazin. Das Magazin ist eine monatlich erscheinende Zeitschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland für junge Soldaten.