Ein gutes Buch kommt selten allein: Warum Literaturkreise so beliebt sind

Lesen kann glücklich machen – erst recht, wenn man sich mit anderen austauschen kann. Deshalb gibt es im deutschsprachigen Raum fast 70.000 Literaturkreise, die die Liebe zum Buch pflegen.

Vielleser und Influencer – Literaturfreunde in einem privaten Lesekreis
Vielleser und Influencer – Literaturfreunde in einem privaten LesekreisImago / agefotostock

Lesen ist eine einsame Angelegenheit. Doch Lesen kann auch verbinden: Wenn man sich über Bücher austauscht, bedeutet das für viele Leser doppeltes Glück. Das beweisen Tausende private und öffentliche Literaturkreise in Deutschland, die sich regelmäßig treffen – ob real in Wohnzimmern, Buchhandlungen und Bibliotheken oder seit Corona auch online bei Teams, WhatsApp, Instagram oder Facebook.

Spaß am Lesen, Diskussionsstoff, den Horizont erweitern: Kerstin Hämke ist in mehreren Literaturkreisen aktiv: Die studierte Betriebswirtin aus Bad Honnef bei Bonn trifft sich schon seit mehr als 20 Jahren mit Kolleginnen und anderen Frauen privat im Lesekreis „Lesegenuss“, um über neue Romane zu sprechen. Zudem startete sie 2019 einen öffentlichen Lesekreis auf Facebook, der mittlerweile 2.600 Interessierte zählt und alle zwei Monate gemeinsam ein Buch liest und diskutiert.

Mittlerweile hat die 59-Jährige aus ihrem Hobby gleich auch ihren Beruf gemacht. Nach 20 Jahren Arbeit bei internationalen Konzernen gründete die Betriebswirtin mit mein-literaturkreis.de eine Ratgeberseite für Lesekreise, die mittlerweile die größte Empfehlungsplattform im deutschsprachigen Raum ist. „Die Verlage haben erkannt, dass die Lesekreise eine wichtige Zielgruppe für sie sind, um ihre Bücher bekannt zu machen“, erzählt sie. Schließlich seien die Literaturfreunde in den Lesekreisen in ihrem privaten Umfeld häufig Vielleser und zudem wichtige Influencer, wenn es um Empfehlungen für gute Literatur geht.

Überwiegend weibliche Community

Verlässlichen Zahlen, wie viele Literaturkreise es in Deutschland gibt, sind nicht vorhanden. Dass mehr als 90 Prozent der Mitglieder Frauen sind, hält Hämke aber für ziemlich sicher. Sie geht von 50.000 bis zu 70.000 im deutschsprachigen Raum aus – darunter zwei Drittel private Gruppen und ein Drittel öffentliche Lesekreise, die zum Beispiel in Kirchengemeinden, Büchereien, Buchhandlungen oder Volkshochschulen organisiert werden. „Allein in meiner Heimatstadt Bad Honnef mit 25.000 Einwohnern gibt es mehr als 20 Literaturkreise“, weiß sie. Mittlerweile betreiben auch Verlage Lesegruppen auf Facebook – beispielsweise #backlistlesen von Diogenes oder die Buchcommunity von DuMont.

„Die Literaturcommunity für Lese- und Literaturkreise und anspruchsvolle LeserInnen“, so präsentiert sich Hämkes Homepage im Internet. Vorgestellt wird neue Literatur – bei rund 70.000 Neuerscheinungen pro Jahr eine schwierige Auswahl, bei der sie von 30 Testleserinnen und -lesern unterstützt wird. Außerdem gibt es Tipps zur Gründung und Belebung von Literaturkreisen und Anregungen zur Diskussion über Bücher. Auch erhalten die Nutzer Infos zu Literatursendungen, -verfilmungen und Auszeichnungen. 2018 hat die Buchexpertin zudem unter dem Titel „Ein gutes Buch kommt selten allein“ ein Handbuch mit Tipps für Lesekreise veröffentlicht.

Sechs bis acht Lesegenießer

„Ich bin immer wieder überrascht, was es an neuen Ideen gibt“, sagt Hämke. „Vom Krimi über den Roman bis zu klassischer Literatur: Es eignet sich jedes Genre für solch einen Lesekreis, wenn man Gleichgesinnte findet, die daran interessiert sind.“ Viele der Lesekreise legen sich aber gar nicht fest: Sie lesen und diskutieren quer durch den Bücher-Garten.

Natürlich gibt es Unterschiede zwischen privaten und öffentlichen Literaturkreisen. „Bei ‚Lesegenuss‘ sind wir eine feste Gruppe von acht, neun Frauen. Ich kenne jede einzelne; wir machen gemeinsame Reisen, gehen ins Kino in Literaturverfilmungen“, sagt Hämke. Aus ihrer Sicht sind in privaten Gruppen sechs bis zehn Personen ideal, um sich über Bücher auszutauschen. Dabei gibt es durchaus auch private Lesekreise, die auf Internet statt auf Wohnzimmer setzen: Etwa Studierende, die in unterschiedlichen Unistädten leben und über Literatur-Debatten Kontakt halten.

Bei öffentlichen Online-Kreisen ist die Verbindlichkeit häufig geringer: Man kann sich aussuchen, ob man bei einem bestimmten Buch mitdiskutieren will. Man kennt sich nicht. Aus Sicht von Hämke ist in solchen Lesekreisen ein Moderator durchaus wichtig: Er kann allzu Redselige bremsen, germanistische Fachvorträge unterbrechen und darauf achten, dass viele unterschiedliche Positionen zu Wort kommen.