Die Tür: Gedanken zur Symbolik eines Alltagsgegenstandes

Im Advent wird in den Gottesdiensten wieder das Lied „Macht hoch die Tür“ gesungen. Die Kraft dieses 400 Jahre alten Chorals und des dahinter stehenden Psalms liegt in der Symbolkraft von Türen.

Türen machen neugierig: Was wohl dahinter liegt? In der Bibel steht die Tür zu Gott für den Eintritt in eine neue Existenz
Türen machen neugierig: Was wohl dahinter liegt? In der Bibel steht die Tür zu Gott für den Eintritt in eine neue ExistenzProstock-studio

Ich habe vor dir eine offene Tür gegeben, die niemand zuschließen kann. Denn du hast ja nur eine kleine Kraft und hast dennoch meine Botschaft bewahrt und dich nicht von mir, von meinem Namen, abgewendet“ (Offenbarung 3,8).

Ich hatte leichtfertig Ja gesagt, als mich die Anfrage erreichte: „Kannst du zum Ersten Advent etwas über Türen schreiben?“ Das schien mir ein Thema, zu dem mir schnell etwas einfallen würde. Gehören doch Türen zu den Dingen im Alltag, die wir ständig benutzen – und die gleichzeitig mit viel Symbolkraft aufgeladen sind: Offene Türen verbinden ein Innen und Außen.

Türen sichern Privatsphäre

Verschlossene Türen bieten Schutz vor Bedrohungen, sichern unsere Privatsphäre. Sie können aber auch isolieren, uns ein- oder ausschließen, uns unserer Freiheit berauben oder der Gefahr aussetzen, wenn wir sie nicht öffnen können. Es macht einen großen Unterschied für mein Lebensgefühl, ob ich selbst hinter mir die Tür schließe, mich zurückziehe ins Private – sie aber jederzeit öffnen kann, um nach draußen zu gelangen. Oder ob ich eingeschlossen wurde und nun ohnmächtig darauf warten muss, dass jemand anderes die Tür öffnet.

Manchmal gibt eine geöffnete Tür eine tolle Aussicht preis
Manchmal gibt eine geöffnete Tür eine tolle Aussicht preisUnsplash / Jan Tinneberg

Mit diesem Auftrag im Kopf war ich Anfang November mit einer Gruppe von Kirchenzeitungsleserinnen nach Japan gefahren. Und prompt sah ich sie anders an: die Türen mit ihren uniformierten Wächtern von Pass- und Zollkontrolle, die langen Hotelflure mit den vielen Türen, hinter denen sich ganz unterschiedliche Lebensgeschichten verbargen.

Die halbhohen Glastüren auf den Bahnsteigen des Shikansenexpresses, die sich punktgenau nach Einfahrt des Zuges dort öffneten, wo sich auch eine Zugtür befand. Die Tore vor den Shintoschreinen, die anzeigten, dass dahinter heiliges Land beginnt, oder die hohen Torschwellen, bewacht von grausigen Figuren als Wächter, mit denen bösen Dämonen der Zugang zu dem buddhistischen Tempel unmöglich gemacht werden sollen.

Träume können zu Albträumen werden

Unser Autor Tilman Baier
Unser Autor Tilman BaierStudioline

Wie stark offene oder verschlossene Türen gerade in ihrer Alltäglichkeit unser Lebensgefühl bestimmen, zeigt auch, dass sie zu mächtigen Bildern für Lebenssituationen werden können. Wohl jede und jeder kennt solche Träume, die uns meist in der aufregenden Gestalt von Albträumen überfallen.

Immer wieder träume auch ich, dass ich von etwas Bedrohlichem verfolgt werde. Mit letzter Kraft erreiche ich die rettende Tür, rüttle an ihr – verschlossen. Und die Bedrohung kommt immer näher… Oder ich versuche, die Tür von innen gegen die Gefahr zu verbarrikadieren, meist vergeblich. Doch es gibt, zum Glück, auch die anderen Träume: wo sich plötzlich eine Tür öffnet, die vorher nicht zu sehen war und sich so ein Weg aus scheinbar auswegloser Lage auftut.

Manche Träume stellen Lebenssituationen dar

Dass solche Träume nicht nur Schäume sind, haben die großen Meister der Psychoanalyse und der analytischen Psychologie wie Sigmund Freud, Alfred Adler, vor allem aber C. G. Jung herausgearbeitet. Träume sind die Tür zum Unbewussten, war Freud überzeugt. Und für Jung stellten sich wichtige Lebenssituationen und Befindlichkeiten in den Träumen als Archetypen dar, wie er es nannte. Auch Türen sind für ihn solche Archetypen, die im Traum die jeweilige Lebenssituation verarbeiten.

Ein literarischer Meister, in dessen Werk Türen immer wieder eine tief symbolische Bedeutung haben, ist Franz Kafka. Berühmt ist die „Türwächterparabel“ aus seinem Roman „Der Process“. Dort geht es um einen einfachen Mann vom Land, der Zugang zum „Gesetz“ begehrt. Ein Türhüter bewacht und verwehrt auf Nachfrage den Zugang zu dem Raum des Gesetzes, in den der Mann so gern eintreten würde. Immer wieder fragt der Mann um Erlaubnis und erhält die Antwort: „Versuch es doch, du wirst schon sehen, was dann geschieht.“ Und so wartet er weiter. Selbst Bestechungsversuche bringen ihm nicht die erwünschte offizielle Genehmigung für das Durchschreiten der Tür.

An Ende seines verwarteten Lebens wundert sich der Mann, dass in den vielen Jahren kein anderer versucht hatte, durch diese Tür zu gelangen. Da antwortet ihm der Türhüter: „Hier konnte niemand sonst Einlass erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn.“ Gefangen in seinem Sicherheitsbedürfnis und seiner Angst und Bequemlichkeit davor, selbst Verantwortung für sich zu übernehmen und am Wächter vorbei in den Raum hinter der Tür zu treten, hat dieser Mann sein Leben verfehlt, ist die harte Botschaft dieser Parabel.

Vor der verschlossenen Tür stehen: ärgerlich

Letztlich geht es beim Nachdenken über verschlossene oder offene Türen und Tore auch um die Frage, wer die Schlüssel hat und damit die Macht, sie auf- und abzuschließen. Und weil die ärgerliche Erfahrung, draußen vor der eigenen, ins Schloss gefallenen Haustür zu stehen, gar nicht so selten ist, gehört für viele der vergewissernde Griff nach dem Schlüsselbund vor Verlassen der Wohnung zum Alltag. Auch ich habe einen Karton mit alten Schlüsseln, bei denen längst nicht mehr klar ist, zu welchen Schlössern sie gehören – aber man weiß ja nie.

Es verwundert darum nicht, dass neben Toren und Türen auch Schlüssel zu einem aussagekräftigen Symbol geworden sind. Besonders auffällig ist dies bei der Gestalt des Apostels Petrus, der in unseren Kirchen häufig mit einem großen goldenen Schlüssel dargestellt ist. Ihm hat nach den Evangelien Jesus die besondere Macht verliehen, die Tür zu Gottes Reich auf- oder zuzuschließen.

Doch an diesem Ersten Sonntag im Advent geht es eben nicht darum, darauf zu warten, dass ein Wächter wie Petrus die Tür zum Himmel aufschließt. „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“, so werden wir wieder singen. Wir selbst sind aufgerufen, „unsere Herzenstür“ dem kommenden Christus zu öffnen. Dabei werden uns die Türen im Adventskalender auch dieses Jahr auf unserem Weg begleiten.

Doch wenn es in diesem Jahr mit all seinen Verunsicherungen nicht gelingt? Wenn meine Lebenswirklichkeit mich eher dazu drängt, mich abzuschotten, um nicht noch mehr verletzt zu werden von realen oder ungreifbaren Gefahren? Ich kenne es doch auch, dass ein Schlüssel, der noch gestern problemlos die Tür öffnete, sich nun nicht mehr im Schloss drehen lässt.

Advent abseits von Lebkuchen und Glühwein

Es gibt eine Bibelstelle in der Offenbarung des Johannes, geschrieben an eine Gemeinde voller Angst und Sorge: „Ich habe vor dir eine offene Tür gegeben, die niemand zuschließen kann. Denn du hast ja nur eine kleine Kraft und hast dennoch meine Botschaft bewahrt und dich nicht von mir, von meinem Namen, abgewendet.“ Das ist es, was wir diese Adventszeit 2023 feiern können, auch wenn uns nicht nach Lebkuchen und Glühwein und Kerzenschimmer zu Mute ist: Gott kommt zu uns – selbst wenn wir unsere Herzenstür nicht von allein aufschließen können.