Das Straßburger Münster zwischen Frankreich und Deutschland

Straßburg, die Hauptstadt des Elsass – und mit ihr das Münster – erlebte wechselvolle Zeitläufte zwischen Deutschland und Frankreich. 2015 feierte die Stadt ein 1.000-Jahr-Jubiläum des Münsters – denn 1015 legte Bischof Wernher den Grundstein für die neue Kathedrale. Der Vorgängerbau war 1002 im Zuge von Thronstreitigkeiten angezündet worden.

Dennoch waren die 1.000-Jahr-Feiern ein etwas gewolltes Datum. Erstens ist von dem sogenannten Wernher-Münster außer den Fundamenten heute kaum mehr etwas übrig; zweitens hatte auch diese Kirche mehrere Vorgängerbauten, spätestens seit dem Jahr 728. Ein Straßburger Bischof, Ansualdus, ist für das Jahr 614 belegt.

Das heutige Münster hatte seinen Spatenstich 1190, als nach mehreren Großbränden, zuletzt 1176, erneut ganz neu gebaut wurde. Das heutige Münster aus rotem Vogesen-Sandstein, begonnen im spätromanischen Stil, wurde erst mit der Errichtung des Langhauses ein Meisterwerk der Gotik. Allerdings wird der himmelstrebende Raumeindruck durch den massiven, dunklen und fast höhlenartig wirkenden Chorraum der Vorgängerepoche getrübt.

Ein Gesamtkunstwerk ist die Westfassade, entstanden zwischen 1277 und 1439. Die Darstellung des reichen Figurenschmucks an den Portalen füllt Bände – und doch wird er noch übertroffen von der Westrosette mit ihren mehr als 15 Metern Durchmesser und ihren 16 doppelten „Blütenblättern“. Karl Friedrich Schinkel nannte die Fassade eine „Harfe aus Stein“. Tatsächlich wirken die vorgeblendeten feinen Sandsteinsäulen und -bögen wie die Saiten einer Harfe.

Mit den 142 Metern des Nordturms ist das Straßburger Münster das höchste im Mittelalter vollendete Bauwerk, seinerzeit eine Art Weltwunder – auch wenn der Südturm nie vollendet wurde. Bis heute ist es der sechsthöchste Kirchenbau der Welt. Die katholische Bischofskirche wurde 1524 protestantisch. Der aufkommende deutsch-französische Gegensatz sorgte für einen erneuten Wechsel: Der Sonnenkönig Ludwig XIV. annektierte widerrechtlich die Freie Reichsstadt. Doch dass er das Münster 1681 rekatholisierte, nötigte auch den düpierten deutschen Reichsfürsten Anerkennung ab, zumindest den katholischen.

In der Französischen Revolution gab es sogar Pläne, den mittelalterlichen Nordturm im Namen der „egalite“ einzureißen. Das verhinderten die Straßburger Bürger, indem sie dem Turmhelm als Freiheitssymbol eine blecherne Jakobinermütze aufsetzten.

Der junge Goethe verstieg sich einst nach Erklimmen des Münsters 1770 zu der kunsthistorisch unhaltbaren These, nur ein deutsches Genie wie Erwin von Steinbach (um 1244-1318) habe damals diese wahre, harmonische Kunst erschaffen können – während etwa die Franzosen oder Italiener vor allem alte Formen nachgeahmt hätten.

1870/71 fiel das Elsass an Deutschland, nach dem Ersten Weltkrieg dann wieder an Frankreich. Im Zweiten Weltkrieg wollte Hitler aus dem Straßburger Münster ein „Nationalheiligtum des deutschen Volkes“ machen. Stattdessen erhielt es im August 1944 alliierte Bombentreffer.