Das Ehrenmal für die Soldaten war der Kirche zu viel

Gehört ein Ehrenmal für gefallene Soldaten in eine Kirche? Vor 50 Jahren entspann sich darüber ein Streit in der Flensburger Marien-Gemeinde, der weit über Schleswig-Holsteins Grenzen diskutiert wurde.

Ehrenhalle in der Flensburger St. Marienkirche mit dem steinernen Soldaten
Ehrenhalle in der Flensburger St. Marienkirche mit dem steinernen SoldatenLandeskirchliches Archiv Kiel / epd

Flensburg. Vor 50 Jahren, im Januar 1967, begann der "Flensburger Denkmalstreit". Anfangs war es nur ein lokaler Konflikt um den steinernen Soldaten in der Flensburger Innenstadt-Kirche St. Marien. Doch dann entwickelte er sich zu einem Grundsatzstreit über den angemessenen Umgang mit Soldaten-Ehrenmalen in Kirchen und sorgte für Schlagzeilen im "Spiegel", der "Zeit" und sogar in der "New York Times".
Der Denkmalstreit ist Thema der Ausstellung "Neue Anfänge nach 1945?", die am Donnerstag, 12. Januar, um 19.30 Uhr in der Marienkirche eröffnet wird und bis zum 9. Februar zu sehen ist. Die Gesellschaft für Flensburger Stadtgeschichte gibt dazu unter dem Titel "Bruchlinien" ein Buch heraus.
Streitpunkt war der Umbau der Nordkapelle in der St. Marienkirche. Seit 1921 lag dort zur Erinnerung an die getöteten Soldaten des 1. Weltkriegs aus der Gemeinde ein steinerner Soldat mit Stahlhelm und zerbrochenem Gewehr. Die beiden Inschriften am Kapellen-Eingang lauteten: "Zum Danke Euch und uns zu ernstem Streben, so wandelt Euer Tod sich um in Leben" und "Niemand hat größere Liebe, denn die, daß er sein Leben läßt für seine Freunde" (Joh. 15,13). Nach 1945 wurde die Kapelle ergänzt um Totenbücher der Gefallenen aus dem 2. Weltkrieg, blieb ansonsten aber nahezu unverändert.

Unterstützung von Propst Knuth

Vorangegangen war bereits in den 50er Jahren eine Debatte um den Volkstrauertag. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge wollte, dass nur der gefallenen Soldaten gedacht werden sollte. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) bekräftigte 1954 dagegen, dass Gedenkstätten auch diejenigen mit einschließen solle, "die in der Heimat am Kriege oder an den Folgen des Krieges zugrunde gegangen sind".
Mitte der 60er Jahre regte sich auch Kritik am steinernen Soldaten in der Marienkirche. Viele sahen darin eine Heldenverehrung und Überhöhung des Krieges. Über ein Jahr lang dauerte der Streit. Vor allem die Marienpastoren Gerhard Jastram, Oswald Krause und Wolfgang Friedrichs warben dafür, die Kapelle als Erinnerungsort umzugestalten und den martialischen Soldaten zu entfernen.
Unterstützung erhielten sie vom Flensburger Propst Wilhelm Knuth, ein konservativer Lutheraner, Wehrmachtsoffizier und langjähriger Kriegsgefangener. Zum heftigen Streit kam es, als Propst Knuth im Gespräch mit den Soldatenverbänden ein "Partisanenkampf" unterstellt wurde, der "hinterhältig, hinterlistig tückisch aus dem Dunkel und dem Versteck" komme. Gemeinsam mit den Marienpastoren verließ er unter Protest den Raum.

Strafanzeige gegen Pastoren

Vertreter der Bundeswehr und der Soldatenverbände sahen in dem Ehrenmal dagegen einen angemessenen Ort der Trauer für gefallene Soldaten. Konteradmiral Helmut Neuss warf den Pastoren "Intoleranz und Eiferertum" vor. Der Verband der Kriegsbeschädigten (VdK) erstattete Strafanzeige gegen die Pastoren wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Friedrich Ferdinand Prinz zu Schleswig-Holstein, Bürgervorsteher von Glücksburg und Landesvorsitzender der Soldatenverbände, beschwerte sich bei der Kirchenleitung und trat aus Protest aus dem Rotarier-Club aus, dem auch Propst Knuth angehörte.
Während der Schleswiger Bischof Reinhard Wester die Wogen glätten wollte, ging sein Kieler Amtskollege Friedrich Hübner auf Konfrontation mit den Marienpastoren. In einem Brief an alle Pastoren sprach er von "eifernden Pharisäern". Wer die Erinnerung an die Kriegstoten aus der Kirche verbannen wolle, "versperrt dem Volk den Weg zu Buße und Vergebung". Öffentliche Unterstützung kam dagegen von Bundesjustizminister Gustav Heinemann (SPD) und dem EKD-Ratsvorsitzenden Bischof Kurt Scharf.

Der Soldat musste weg

Der Gemeindevorstand von St. Marien fasste am 16. März 1967 trotz aller Proteste den Beschluss, die "Ehrenhalle" neu herzurichten. Besondere Gedenkstätten für Soldaten in Kirchen seien nicht angemessen, weil der Soldatentod im Angesicht Gottes jedem anderen Tod gleich sei, hieß es zur Begründung. Nationale Gedenkstätten gehörten nicht in eine Kirche. Die Namenstafeln und Gefallenenbücher blieben vor Ort, der steinerne Soldat wurde jedoch aus der Kirche entfernt und bekam einen Platz im Pastoratsgarten. In der Kapelle wurde ein Altar aufgestellt.
Nach Einschätzung des Historikers Stephan Linck haben sich die Marienpastoren exakt an die Richtlinien der Schleswig-Holsteinischen Landeskirche und der EKD gehalten. Es sei allerdings das erste Mal gewesen, dass innerhalb der EKD eine Anwendung der Richtlinien im offenen Konflikt mit Militär und Traditionsverbänden gefordert wurde.
Der Steinkrieger musste allerdings noch einmal umziehen. Im Herbst 1972 überließ der Kirchenvorstand von St. Marien der "Arbeitsgemeinschaft der Kriegsopfer- und Kriegsteilnehmerverbände" das Denkmal. Vorsitzender war Prinz Friedrich Ferdinand zu Schleswig-Holstein. Am 24. Oktober 1972 gruben Bundeswehr-Pioniere den Steinkrieger im Pastoratsgarten aus und brachten ihn in ein Wäldchen bei Tackesdorf (Kreis Rendsburg-Eckernförde) am Nord-Ostsee-Kanal. Dort wurde das Denkmal am "Karl Kappert Erholungsheim" des VdK wieder aufgebaut. Inzwischen ist das Gelände weiterveräußert und für Besucher nicht mehr zugänglich. (epd)