Christen in China

Christen in China sind loyal

Christen in China müssen loyal sein

 

Während die Sportler*innen in Peking um Medaillen kämpfen, geht die Diskussion um die Menschenrechtsverletzungen weiter. Worin sie bestehen und inwiefern sie Christ*innen betreffen, erklärt die Sinologin Kristin Shi-Kupfer von der Universität Trier im Gespräch mit Sibylle Sterzik.

 

Frau Professorin Shi-Kupfer, die Sportler*innen freuen sich auf die Wettkämpfe. Gleichzeitig finden sie in einem Land statt, das die Menschenrechte mit Füßen tritt. Wie beurteilen Sie das Verhältnis?

 

Das hat zwei Ebenen. Peking ist nicht die erste Olympiastätte, die aufgrund von Menschenrechten zu Recht in der Kritik ist. Ich erinnere an Sotschi 2014 in Russland. Das ist grundsätzlich problematisch. Warum die Austragung der Spiele an solche Staaten vergeben wird, muss das Internationale Olympische Komitee (IOC) beantworten. Die zweite Ebene im speziellen Fall Chinas sind gravierende Menschenrechtsverletzungen und Rechtsbrüche, etwa in Xinjiang und in Hongkong. Als Hongkong 1997 vom Vereinigten ­Königreich an China zurückgegeben wurde, versprach China Hongkong im Zuge eines völkerrechtlich bindenden Vertrags für mindestens 50 Jahre Autonomie. Das hat China gebrochen. Menschenrechte wie Versammlungs- und Meinungsfreiheit werden eingeschränkt.

 

Unterstützen die pandemischen Maßnahmen politische Ziele?

 

Das ist schwer zu trennen: Was macht die chinesische Regierung aus legitimer Sorge vor Covid-19, um die Pandemie einzudämmen? Und was tut sie aus politischen Gründen, um möglichst wenige Proteste, Interaktionen zwischen Zuschauern und Sportlern oder Sportlern und der Bevölkerung zuzulassen. Man kann sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass die Pandemie willkommener Vorwand ist, alles möglichst umfassend zu kontrollieren.

 

Die chinesische Bevölkerung wird außen vor gelassen?

 

Zum Beispiel. Nur organisierte Gruppen von Zuschauern dürfen, wenn überhaupt, in die Stadien. Die Olympischen und Paralympischen Spiele finden in einem „Closed-Loop-Management-System“ statt, einer Blase, in der Athleten, Funktionäre, Journalisten und Belegschaft essen, schlafen, arbeiten und trainieren. Was wir von manchen Sportlern gehört haben, ist dies viel restriktiver und schlechter als in Tokyo. 

 

Die Politik boykottiert zum Teil die Spiele. Sportler ja – Politiker nein, finden Sie das angemessen?

 

Ich finde es realistisch. Auch beim diplomatischen Boykott gibt es keine Geschlossenheit innerhalb der Europäischen Union. Einige Länder wie Luxemburg haben doch teilgenommen. Der deutsche Bundeskanzler äußerte sich nicht deutlich. Auch bei den Sportlerinnen und Sportlern gibt es unterschiedliche Stimmen.  Aber sie haben sich lange auf diese Spiele vorbereitet. Ein sportlicher Boykott hätte kaum etwas an der Menschenrechtspolitik geändert. 

 

China baute Sportstätten in Naturschutzgebiete und setzte energiefressende Schneekanonen ein. Ist jedes Mittel recht für dieses Prestigeobjekt Olympia?

 

Für die kommunistische Partei ist das in der Tat sowohl nach innen gegenüber der Bevölkerung als auch nach außen ein extrem wichtiges Prestigeprojekt. Peking scheut kaum Kosten und Mittel, damit es zu einem Erfolg wird. Da stehen Ziele wie Nachhaltigkeit, die man sich eigentlich auf die Fahnen geschrieben hat, hintenan. China hat zum Beispiel offensichtlich falsche Schätzungen zugrunde gelegt, was den Aufwand für den künstlichen Schnee angeht.

 

Welche Menschenrechtsverletzungen werfen Menschenrechts­organisationen China vor?

Systematische Menschenrechtsverletzungen gibt es seit Jahren. Unter Xi Jinping, dem Chef der kommunistischen Partei und seit 2013 Staatspräsident der Volksrepublik China, nimmt das zu. Die Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit ist sehr viel restriktiver geworden, gerade auch, was die Pressefreiheit angeht. Auch religiöse Gruppierungen betrifft das. Die Verfassung nennt zwar Glaubensfreiheit, schützt aber nur „normale“, sprich de facto staatlich anerkannte, religiöse Tätigkeiten. Akut erleben wir schwere Menschenrechtsverletzungen in Xinj­iang, der autonomen Region der Uiguren. China geht dort mit Freiheitsberaubung, Umerziehungslagern und Folter gegen die muslimische Volksgruppe vor.

 

Warum werden die Uiguren in Xinjiang verfolgt?

 

Diese Region ist für China geostrategisch sehr wichtig. Sie liegt am Anfang der neuen Seidenstraßeninitiative, die über Zentralasien weiter nach Europa geht. Es gibt sehr viele Rohstoffe, vor allem Öl und Metalle. Xinjiang wird überwiegend von muslimischen Minderheiten, von den Uiguren, aber auch einigen anderen bewohnt. Xinjiang heißt übersetzt „das neue Territorium“, deshalb wird aufgrund seiner Geschichte, für mich nachvollziehbar, die Frage gestellt, ob die Region Teil der Volksrepublik Chinas sein soll. Die Tendenzen unabhängig zu werden, will die chinesische Regierung unbedingt verhindern. Es gab in Xinjiang und auch anderen Teilen Chinas schon auch extremistische Vorfälle mit Verbindungen zu terroristischen Netzwerken im Mittleren Osten. Dutzende Chines:innen sind gestorben und Peking betrachtet dies, auch wiederum zu Recht, als Sicherheitsbedrohung. Aber natürlich kann das keine Rechtfertigung dafür sein, eine ganze Volksgruppe unter Generalverdacht zu stellen.

 

Wie dürfen christliche Gemeinschaften ihre Religion ausüben?

 

Auch da haben in den letzten drei Jahren unter dem amtierenden Staats- und Parteichef die Restriktionen zugenommen. In China unterscheidet man zwischen offiziellen registrierten oder auch patriotischen und den nichtregistrierten Kirchen. Letztere werden auch Untergrundgemeinden oder Hauskirchen genannt, weil sie sich in der Regel nicht in offiziellen Kirchengebäuden treffen können. In den nichtregistrierten Kirchen gab es gerade im letzten Jahr wieder eine Reihe von Verhaftungen. Vor Xi Jinping gab es eine Grauzone. Wenn Versammlungen nicht zu groß waren, wurden sie toleriert. Jetzt wird das strikter gehandhabt. Zum Beispiel gab es Berichte, dass das Feiern von Weihnachten untersagt wurde, mit Hinweis auf Covid-19. Aber das traditionelle Neujahrsfest durfte stattfinden.

 

Betreffen Einschränkungen auch die registrierten Kirchen?

 

Vor allem die Geistlichen sollen stärker kontrolliert werden. Um reisen zu können, müssen sie Anträge stellen. Eine Kirchengemeinde kann nicht mehr einfach Informationen zur Bibel oder zu Gottesdiensten online stellen. Dazu benötigen sie eine spezielle Publikationslizenz. Das tritt zum 1. März in Kraft. Verstärkt tauchen Hinweise der Regierung auf, dass Christen verpflichtet sind Loyalität zu zeigen. Kurzum, wir sehen sowohl bei den offiziellen, staatlich registrierten erlaubten Kirchen als auch bei den nichtregistrierten Kirchen einen sehr viel stärkeren Zugriff, Verbote und Restriktionen von Seiten des Parteistaats.

 

Mitglieder der registrierten patriotische Kirchen sind Christen?

 

Ich habe einige kennengelernt, aber das weiß letztlich nur Gott. In jedem Fall gehen sie Kompromisse ein, weil sie das für besser halten, als sich überhaupt nicht treffen zu können und ständig in Sorge vor Verfolgung zu leben. 

 

Wie hoch ist der Anteil der Christinnen und Christen in China?

Man schätzt zwischen 80 und 100 Millionen Katholiken und Protestanten. Zum Vergleich: Die kommunistische Partei hat ungefähr 80 Millionen Mitglieder. Das Christentum ist die am schnellsten wachsende Religion in der Volksrepublik.

 

Verschärft die Regierung die Restriktionen, weil die Zahl der Christ*innen wächst? Und weil einige für mehr Rechte eintreten?

 

Das ist sicherlich ein Grund. Einige der früheren Dissidenten, die jetzt in Haft sind oder im Ausland, waren entweder Christen oder hatten eine große Nähe zum Christentum. Es ist ideell eine Quelle für Andersdenkende. Zudem vernetzen und organisieren sie sich durch die Gemeindestrukturen und werden aus dem Ausland unterstützt. Das beäugt die chinesische Regierung misstrauisch und spricht wieder vermehrt von „ausländischer Religion“. Das war in den Jahren vor dem jetzigen Parteichef nicht so.

 

Wie gefährlich leben Christen in den Untergrundkirchen?

 

Es kann passieren, dass sie mit auf die Polizei genommen und verhört werden. Sie müssen­ Geständnis­briefe schreiben oder fingierte Briefe unterschreiben, dass die Versammlung geschlossen wird. Manche, in der Regel Pfarrer oder Älteste von nichtregistrierten Gemeinden, werden auch zu längeren Haftstrafen verurteilt. Das heißt aber auch nicht, dass jeder Christ und jede Christin in ständiger Angst vor Verhaftung lebt. Das betrifft eher die Leitungsebene oder die sehr aktiven Mitglieder. 

 

Äußern sich die Kirchen auch zu Menschenrechtsverletzungen?

 

In den 1990er Jahren und Anfang 2000 gab öffentliche Stellungnahmen von nichtregistrierten Gemeinden, dass sie sich für Gerechtigkeit und Meinungsfreiheit einsetzen. Allerdings konzentrierten sie sich immer primär mehr auf den Glauben. Aber einzelne Christen engagierten sich als Menschenrechtsanwälte für andere verfolgte Chinesinnen und Chinesen. Von Seiten der offiziell registrierten Gemeinden gab es solche öffentlichen Stellungnahmen meines Wissens nicht. Ich weiß aber, dass es Pfarrerinnen und Pfarrer gibt, die das privat kritisieren, aber es nicht öffentlich äußern.

 

Auch jetzt nicht mit Blick auf die Olympischen Spiele?

 

Eine öffentliche Stellungnahme wäre ein großes Risiko für diese Gemeinden. Von den offiziell registrierten Gemeinden wird erwartet, dass sie die Parteilinie unterstützen und sich loyal zu all dem bekennen, was Xi Jinping plant und macht. Andernfalls drohen ihnen wegen mangelndem Patriotismus Schwierigkeiten. Sie haben nicht wirklich einen legalen Spielraum.

 

China stellt sich als guter Gast­geber dar. Ist da auch etwas dran?

 

Wenn nicht der Parteistaat, sondern die Chinesinnen und Chinesen viel mehr Teil der Spiele sein könnten, so wie das 2008 bei den Sommerspielen in Peking war, dann wäre das so. Ich durfte als Journalistin dabei sein. Menschen verschiedener Nationen begegneten sich. Chinesinnen und Chinesen waren gute Gastgeber. Es gab eine große Neugier und Offenheit gerade von Seiten der Bevölkerung gegenüber den unterschiedlichen Sportarten und Menschen, die ins Land kamen. Aber das ist bei diesen Olympischen Spielen nicht möglich. Von daher sehe ich wenig Positives daran, wie die chinesische Regierung mit den Spielen umgeht.