Bundesweit erstes Mahnmal für Leid der Verschickungskinder eingeweiht

Die sogenannten Verschickungskinder haben erstmals in Deutschland ein Mahnmal für ihre vielfach traumatischen Erlebnisse in der Nachkriegszeit erhalten. Die Diakonie in Niedersachsen weihte dazu am Sonnabend in Bad Salzdetfurth bei Hildesheim eine Gedenkstele ein. „Hier soll gezeigt werden, dass Geschichte nicht vergessen wird und wir als Diakonie zu unserer historischen Verantwortung stehen“, sagte Vorstandssprecher Hans-Joachim Lenke. Zugleich solle an drei tragische Todesfälle erinnert werden, die sich im Frühjahr 1969 im damaligen „Waldhaus“ in Bad Salzdetfurth ereigneten. An der Einweihung nahmen auch rund 20 ehemalige Verschickungskinder und ihre Angehörigen teil.

Zwischen Ende der 1940er- bis in die 1980er-Jahre hinein wurden in Deutschland rund zwölf Millionen Jungen und Mädchen in Kinderkurheime verschickt, um dort gesundheitlich aufgepäppelt werden. Doch viele von ihnen kehrten traumatisiert zurück. Sie berichteten von Essenszwang durch das Pflegepersonal bis hin zum Erbrechen und von harten Strafen wie Schlafentzug oder Ans-Bett-Fesseln. Das „Waldhaus“ in Bad Salzdetfurth, ein inzwischen abgerissenes Fachwerkhaus am Rand des Kurortes, war von bundesweit rund 1.900 Kurheimen. Getragen wurde es von der evangelischen Inneren Mission, einer Vorläuferin der Diakonie.

Im Frühjahr 1969 kamen dort drei Kinder ums Leben. Am 18. März starb der siebenjährige Stefan aus Obernkirchen bei Stadthagen. Wahrscheinlich erstickte er, weil er zu spät zum Abendessen kam und daraufhin gezwungen wurde, es hinunterzuschlingen. Zwölf Tage später, am 30. März, starb die sechsjährige Kirsten aus Hamburg, offiziell an einer Infektion. Es fanden sich aber auch Speisereste in ihrer Lunge. Am 18. Mai schließlich kam der dreijährige André aus Berlin ums Leben. Er war von drei anderen Jungen im Haus brutal verprügelt worden.

Niedersachsens Sozialminister Andreas Philippi (SPD) erklärte in einem schriftlichen Grußwort, das Land Niedersachsen werde sich weiterhin dafür einsetzen, dass das Leid der Verschickungskinder auf Bundesebene aufgearbeitet wird. Die rund 1,30 Meter hohe Sandsteinstele soll künftig direkt neben dem Museum der Kurstadt an alle drei Kinder erinnern. „Uns beschämt, dass uns anvertraute Kinder nicht die Zuwendung und Geborgenheit erfahren haben, die sie gebraucht hätten“, heißt es auf der Stele.

Das Heim wurde Ende 1969 aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen. Im Museum ist eine eigene Abteilung den Verschickungskindern gewidmet. Zu der Einweihungsfeier waren auch die inzwischen hochbetagte Mutter und der Bruder des kleinen André nach Bad Salzdetfurth gekommen. Der nächste Erinnerungsort für die Verschickungskinder soll im westfälischen Bad Sassendorf bei Soest entstehen. Dort wird eine Bronzeskulptur der Hamburger Künstlerin Heike Fischer-Nagel aufgestellt.