Bundespräsident Steinmeier verurteilt Attacken auf Politiker

Vertreter aus Politik und Gesellschaft haben am Sonntag an den ermordeten Politiker Walter Lübcke erinnert. Fünf Jahre nach der Tat ist die Sorge groß, dass Extremismus das Klima in der Gesellschaft weiter vergiftet.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat Attacken auf Politiker verurteilt und zu mehr Anstand in öffentlichen Debatten aufgerufen. “Für uns alle – Politik, Medien, Gesellschaft – gilt: Worte können Waffen sein”, sagte Steinmeier am Sonntag in Kassel. “Jeden Tag sehen wir den Versuch, mit Worten die Skala des Anstands, den Konsens unserer Werte zu verschieben.” Viel zu oft gelinge dieser Versuch.

“Die furchtbare Folge davon ist Gewalt”, betonte der Bundespräsident. “Gerade jetzt, in diesen Tagen lesen und hören wir fast täglich, dass politisch Engagierte und Mandatsträger körperlich angegriffen werden. Und die Hemmschwelle, so scheint es, sinkt von Tag zu Tag.” Zuletzt sorgte ein Angriff auf den CDU-Bundestagsabgeordneten Roderich Kiesewetter am Samstag im baden-württembergischen Aalen für Schlagzeilen.

Steinmeier äußerte sich bei einer Gedenkfeier für den vor fünf Jahren ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Dabei mahnte er zu Geschlossenheit im Kampf gegen Hass und Gewalt. “Die lange Spur des rechtsextremen Terrors, dem in der Nacht vom 1. auf den 2. Juni 2019 Walter Lübcke zum Opfer fiel, sie zieht sich leider durch unsere jüngere Geschichte. Und sie endete, das ist die bittere Wahrheit, nicht im Juni vor fünf Jahren.”

Der Bundespräsident erinnerte in diesem Zusammenhang an das Oktoberfestattentat 1980 in München, die rechtsextremen Ausschreitungen von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen 1991, die Brandanschläge von 1993 in Solingen, Mölln sowie 1996 in Lübeck. In die gleiche Kategorie gehörten die Morde und Anschläge “des so lange nicht erkannten Terrornetzwerks des NSU”. Auch in der jüngeren Vergangenheit sei es zu derartigen Verbrechen gekommen. Dies zeige: “Rechtsextremismus ist nichts, was einfach wieder verschwindet.”

Zugleich räumte der Bundespräsident Versäumnisse des Staates ein. “Fünf Jahre nach dem Mord, nach den gerichtlichen Verfahren und dem Untersuchungsausschuss müssen wir festhalten: Wir wissen nicht, ob der Mord an Walter Lübcke hätte verhindert werden können. Aber wir wissen, dass wir im Ergebnis nicht genug getan haben, um die Gefahr abzuwenden.”

Eindringlich warnte Steinmeier davor, den Rechtsextremismus zu unterschätzen. “Sein Erscheinungsbild mag sich verändert haben. Er ist mitunter salonfähig, ja partyfähig geworden! Aber auch wenn er inzwischen manchmal im feinen Anzug daherkommt oder junge Leute in Champagnerlaune seine Parolen mitgrölen – weniger gefährlich ist er deshalb nicht.” Anhänger hätten inzwischen viele Vereine, Gruppen und pseudowissenschaftliche Institute gegründet. Sie fänden Unterstützung von vermögenden Spendern und nutzten parteipolitische Strukturen und Privilegien. “Ihr Einfluss reicht bis in die Parlamente.”

Das Gedenken an Lübcke fand in der evangelischen Martinskirche in Kassel statt. Der CDU-Politiker war durch seinen Einsatz für Flüchtlinge und seinen Widerspruch gegen die Pegida-Bewegung bundesweit bekanntgeworden. Er wurde in der Nacht zum 2. Juni 2019 auf der Terrasse seines Wohnhauses erschossen.

Die Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Beate Hofmann, würdigte Lübcke als bürgernahen und zugänglichen Politiker. “Als Christ folgte er einem klaren, moralischen Kompass: Wer vor Krieg, Gewalt oder Hunger flieht, der muss geschützt werden.”

Der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) beklagte wie der Bundespräsident eine Verrohung von gesellschaftlichen Debatten. “Die Sprache wird immer rauer, Positionen werden immer rücksichtsloser, Taten werden immer radikaler.” Die Angriffe auf Politiker hätten sich in den vergangenen fünf Jahren fast verdoppelt, so Rhein.

Zu den Teilnehmern der Gedenkfeier gehörte auch der katholische Bischof von Fulda, Michael Gerber.