Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier geht auf Afrika-Reise

Tansania und Sambia heißen die Stationen der Reise, zu der Bundespräsident Steinmeier am Montag aufbricht. Es geht um Umweltschutz und Wirtschaft. Und um ein kaum aufgearbeitetes Kapitel aus der Vergangenheit.

Gleich zwei deutsche Spitzenpolitiker halten sich in den kommenden Tagen in Afrika auf. Während Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in den Westen nach Nigeria und Ghana reist, besucht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ab Montag den Osten des Kontinents. Als erster Bundespräsident überhaupt macht Steinmeier in Sambia Station. Brisant dürfte jedoch der Auftakt in Tansania werden.

Am Mittwoch will sich Steinmeier laut Ankündigung des Bundespräsidialamtes der tansanischen Geschichte „und insbesondere der deutschen Kolonialherrschaft“ widmen. Dazu reist er nach Songea im Süden des Landes, wo er unter anderem mit Nachfahren der Opfer eines Konfliktes sprechen will, der zu den blutigsten Kolonialkriegen überhaupt zählt. Beim Maji-Maji-Krieg starben zwischen 1905 und 1908 zwischen 75.000 und 300.000 Einheimische. Niedergemäht von Maschinengewehren, verhungert und verdurstet.

Tansania war damals Teil der Kolonie Deutsch-Ostafrika. Der Widerstand nahm seinen Ausgang in den Matumbi-Bergen, wo Bauern besonders unter Landraub und Unterdrückung der Deutschen zu leiden hatten. Der Kampf ums Überleben bekam eine spirituelle Komponente durch das Wirken des Heilers Kinjikitile, dessen aus Wasser, Mais und Hirse gemischte Medizin („Maji“) Unverwundbarkeit versprach.

Bekannt ist das alles hierzulande kaum, geschweige denn aufgearbeitet. Auf Fragen zu diesem Komplex reagierte die Bundesregierung im Sommer eher schmallippig. „Die Bundesregierung hat Kenntnis vom Vorgehen der deutschen Kolonialtruppen im damaligen Deutsch-Ostafrika“, hieß es in einer von Andreas Michaelis, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, unterzeichneten Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen (damals Linke).

Ein strukturierter Dialog, wie es ihn mit Namibia gab? Fehlanzeige. Namibia war ebenso wie Tansania von Mitte der 1880er-Jahre bis zum Ersten Weltkrieg deutsche Kolonie. Zwischen 1904 und 1908 töteten deutsche Truppen unter Lothar von Trotha im damaligen Deutsch-Südwestafrika Zehntausende Herero und Nama. Ende Mai 2021 verständigten sich Deutschland und Namibia im Grundsatz auf eine „Gemeinsame Erklärung“. Darin werden die Ereignisse „aus heutiger Perspektive“ als Völkermord bezeichnet. In den kommenden 30 Jahren sollen rund 1,1 Milliarden Euro in Wiederaufbau- und Entwicklungsprojekte in Namibia fließen.

Bis heute ist die Erklärung allerdings nicht in Kraft getreten. Die Zustimmung des Parlaments in Windhuk steht noch aus. Vertreter von Herero und Nama fühlen sich nicht angemessen an den Verhandlungen zu der „Gemeinsamen Erklärung“ beteiligt. Die gefeierte Blaupause für Verständigung und Versöhnung sorgt zumindest in Namibia eher für Frust als für Freude. Das könnte ein Grund für die bisherige Zurückhaltung der Bundesregierung im Fall von Tansania sein. Nicht einfacher wird die Angelegenheit, wenn man bedenkt, dass an dem Maji-Maji-Krieg bis zu 20 Ethnien beteiligt waren. Sie alle um einen Tisch zu versammeln, dürfte eine mehr als delikate Herausforderung sein.

Mehrere Organisationen, darunter das Tanzania-Network und Berlin Postkolonial begrüßen den Besuch Steinmeiers in Songea und rufen ihn auf, bei dieser Gelegenheit eine Bitte um Entschuldigung für die von den Deutschen begangenen Kolonialverbrechen zu formulieren. So sei der Maji-Maji-Krieg nur einer von bis zu 60 bewaffneten Zusammenstößen zwischen Einheimische und Deutschen in Tansania zur Zeit der Kolonialherrschaft gewesen.

Neben der Rückgabe von geraubten Kulturschätzen fordern die Organisationen vor allem die Rückgabe von sterblichen Überresten, die immer noch in deutschen Sammlungen lagern. Nicht zuletzt Aktivisten haben in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, dass es bei diesem Thema zuletzt deutliche Fortschritte gab.

Ungleich schwieriger wird die Sache wohl bei einer weiteren Forderung aus dem Katalog der Menschenrechtler. Sie wollen, dass Gespräche über Entschädigungen für die von der deutschen Kolonialherrschaft besonders betroffenen Communities aufgenommen werden.

Wenn Steinmeier zu Allerheiligen in Songea an den Gräbern der Opfer des Maji-Maji-Krieges steht, dürfte dies zunächst einmal für viele Menschen in Tansania eine wichtige Geste sein. Was darauf folgt, ist noch offen.

Wenig helfen wird dem Bundespräsidenten, dass der britische König Charles III. in Tansanias Nachbarland Kenia quasi zeitgleich vor einer ähnlich schwierigen Mission steht. Hier geht es unter anderem um den Mau-Mau-Aufstand, mit dem die Kenianer in den 1950er-Jahren ihre Unabhängigkeit erkämpfen wollten, die sie schließlich 1963 erhielten. Die Briten reagierten damals äußerst brutal: Mehr als 90.000 Widerstandskämpfer wurden von Soldaten unterjocht, gefoltert oder verstümmelt, mehr als 10.000 getötet. Auch die Kenianer fordern eine Entschuldigung. Die Debatte um die Kolonialverbrechen der Europäer ist noch lange nicht zu Ende.