Flüchtlingsrat Berlin: Bezahlkarte für Geflüchtete? Nein, danke!

Sina Stach ist Sprecherin des Flüchtlingsrates Berlin und Asylrechtsberaterin bei der AWO Berlin und erklärt, warum die Bezahlkarte für Geflüchtete ein Instrument der absoluten Kontrolle ist.

Sina Stach spricht sich gegen die Einführung der Bezahlkarte aus
Sina Stach spricht sich gegen die Einführung der Bezahlkarte ausprivat

Die Bezahlkarte für Geflüchtete steht in vielen Bundesländern, so auch in Berlin und Brandenburg, kurz vor der Einführung. Ein offener Brief mit mehr als 50 Unterzeichnern weist jedoch auf zahlreiche Probleme damit hin. Sina Stach erklärt im Interview, warum die Durchsetzung der Karte nicht nur in der Hauptstadt schwieriger sein könnte als gedacht.

Frau Stach, welche Gefahren sehen Sie in der Einführung der Bezahlkarte, die möglicherweise in ihrer Planung nicht ausreichend berücksichtigt worden ?
Sina Stach: Mit der Einführung der Bezahlkarte wird die Büchse der Pandora geöffnet – ein Instrument, das das Potenzial der absoluten Kontrolle, Überwachung und Restriktion bietet. Es gibt mittlerweile sogar schon Politiker, die sich für eine Ausweitung der Bezahlkarte auf Bürgergeldempfänger*innen als Sanktionsmittel aussprechen. Das zeigt, welches primäre Ziel mit der Karte verfolgt wird: Abschreckung um jeden Preis.

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil bereits 2012 festgestellt, dass die Menschenwürde nicht für migrationspolitische Zwecke relativiert werden darf. Aber genau das passiert gerade.

Welche konkreten Auswirkungen sehen Sie durch die Einführung der Bezahlkarte auf das tägliche Leben und die finanzielle Autonomie der Asylsuchenden?
Die Bezahlkarte eröffnet die Möglichkeit, massiv in das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen einzugreifen. Es kann von außen reglementiert werden, welche Waren wo eingekauft werden können, ob und wie viel Bargeld abgehoben werden darf und Überweisungen ins In- und Ausland werden komplett untersagt. Wenn die Bargeldauszahlung stark reduziert wird und Überweisungen nicht mehr möglich sind, wie kann dann die Klassenfahrt oder der Kitaausflug für die Kinder bezahlt werden? Wie die Second-Hand Kleidung vom Flohmarkt, die Raten für die anwaltliche Vertretung, der Handyvertrag und so weiter? Sollte die Funktion der Karte örtlich beschränkt werden, etwa auf den eigenen Landkreis, wird dadurch auch die Bewegungsfreiheit der Menschen stark eingeschränkt.

Wie beurteilen Sie die potenziellen Auswirkungen der Bezahlkarte auf die konkrete Gesundheitsversorgung von Geflüchteten mit Behinderungen?
Zunächst einmal muss hier gesagt werden, dass die Gesundheitsversorgung von Menschen im Asylbewerberleistungssystem ohnehin sehr schlecht ist. Eine medizinische Versorgung ist rechtlich nur in akuten Notfällen vorgesehen.

Durch die Bezahlkarte erhöht sich das Risiko einer gesundheitlichen Unterversorgung für Geflüchtete mit Behinderung. So können etwa Fahrdienstleister oder auch
Gebärden-Dolmetscherdienste nur per Überweisung bezahlt werden.

Der Brief schlägt vor, dass ein kostenloses Bürgerkonto als Alternative zur Bezahlkarte bereitgestellt werden sollte. Wie könnte diese Lösung die Bedürfnisse der Asylsuchenden besser erfüllen?
Der Unterschied zwischen einer Bezahlkarte und einer Giro-Karte für ein „normales“ Bürgerkonto ist, dass Menschen selbstbestimmt über das (wenige) Geld, das ihnen rechtlich zusteht, verfügen können.

Können Sie die Argumente der Befürworter der Bezahlkarte nachvollziehen, dass mit ihr der Verwaltungsaufwand in den Kommunen reduziert werden?
Das Argument des reduzierten Verwaltungsaufwands ist meines Erachtens nach ein vorgeschobenes Scheinargument. Schon jetzt wäre es rechtlich möglich, jeder asylsuchenden Person ein Bürgerkonto zur Verfügung zu stellen, auf das die Leistungsbehörden dann das Geld überweisen könnten. Das wäre die kostengünstigste und bürokratieärmste Variante.

Mit einer Bezahlkarte sollen Asylbewerber nur Sachleistungen beziehen können (Symbolbild)
Mit einer Bezahlkarte sollen Asylbewerber nur Sachleistungen beziehen können (Symbolbild)Imago / Bihlmayerfotografie

Es soll auch die Möglichkeit des Geldtransfers in die Heimatländer unterbinden, um Schlepperkriminalität zu verhindern?
Zu der Behauptung, Geflüchtete würden im großen Stil Geld in ihre Heimatländer überweisen, frage ich mich, wie man zu dieser Annahme kommt? Es liegen keinerlei verlässliche Zahlen
zu Auslandsüberweisungen von Asylbewerberleistungsgesetz-Empfänger*innen vor. Wir sprechen hier von Leistungen, die rund 20 Prozent unterhalb des in Deutschland festgelegten Existenzminimums liegen.

Eine erwachsene alleinstehende Person, die in einer Aufnahmeeinrichtung wohnt, erhält monatlich 202 Euro, bei Ehepaaren sind es nur 184 Euro, bei Kindern zwischen 132 Euro und 134 Euro, wovon sie alle Dinge des täglichen Bedarfs bezahlen muss – Schulsachen, Kleidung, das Geburtstagsgeschenk für’s Kind, SIM-Karte, Fahrkarten, Rechtsanwalt und so weiter. Ich gehe davon aus, dass bei den Wenigsten da noch viel am Ende des Monats übrigbleibt.

Ja, viele Geflüchtete überweisen Geld an ihre Familien, die häufig unter sehr schwierigen Bedingungen in Syrien, Afghanistan, Sudan oder wo auch immer leben. Aber das tun sie in der Regel erst, wenn sie arbeiten und somit ausreichend Geld für sich und ihre Familie haben. Zu den Schleppern: Die werden vorab bezahlt und nicht im Nachhinein.