Berlin: Kein Kopftuchverbot für Staatsbedienstete

Das Berliner Neutralitätsgesetz muss angepasst werden.

Symbolfoto: Frauen mit Kopftüchern
Symbolfoto: Frauen mit Kopftüchernepd-bild/Jens Schulze

Seit Jahrzehnten beschäftigt es die Gerichte, nun muss Berlin ein Gesetz nachbessern: Das religiöse Kopftuch darf für Staatsbedienstete nicht grundsätzlich verboten sein. Martin Vogel, Länderbeauftragter der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz, erklärt, worum es geht.

Es begann mit Fereshta Ludin. Die 1972 in Afghanistan geborene Pädagogin mit deutschem Pass wollte Beamtin im Schuldienst werden. Doch ihr Einstellungsantrag wurde in Baden-Württemberg abgelehnt. Der Grund: Sie war nicht bereit, im Unterricht auf das Tragen eines Kopftuchs zu verzichten. Ludin klagte sich daraufhin durch alle Instanzen. 2003 entschied das Bundesverfassungsgericht: Ein Verbot für Lehrkräfte, in Schule und Unterricht ein islamisches Kopftuch zu tragen, benötige eine klar bestimmte gesetzliche Grundlage des entsprechenden Bundeslandes.

Keine religiösen Symbole

Der Senat reagierte und verabschiedete 2005 das Berliner Neutralitätsgesetz. Darin heißt es: „Lehrkräfte und andere Beschäftigte mit pädagogischem Auftrag in den öffentlichen Schulen nach dem Schulgesetz dürfen innerhalb des Dienstes keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole, die für die Betrachterin oder den Betrachter eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft demonstrieren, und keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen. Dies gilt nicht für die Erteilung von Religions- und Weltanschauungsunterricht.“

2015 beschäftigte sich das Bundesverfassungsgericht erneut mit der Thematik und erklärte ein pauschales Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen für verfassungswidrig. Das alleinige Tragen eines Kopftuches stelle nach diesem Urteil keine hinreichend konkrete Gefahr für den Schulfrieden und die staatliche Neutralität dar. Erst wenn der Schulfrieden oder die staatliche Neutralität konkret an einer Schule gefährdet seien, können religiöse Bekundungen wie das Tragen eines Kopftuches untersagt werden. Ein solches Verbot müsse sich dann aber auf alle religiösen Symbole der unterschiedlichen Glaubens- und Weltanschauungsrichtungen beziehen.

Notwendig oder nicht?

In Berlin waren seitdem unterschiedliche Stimmen zu hören. Während Justizsenator Dirk Behrendt den Handlungsbedarf zur Anpassung des Berliner Neutralitätsgesetzes betonte, schien die von der SPD geführte Bildungsverwaltung keine Notwendigkeit zu sehen.

Zuletzt hatte das Bundesverfassungsgericht Mitte Januar 2023 eine Beschwerde des Landes Berlin gegen ein entsprechendes Urteil des Bundesarbeitsgerichts nicht zur Entscheidung angenommen. Damit war klar, dass Berlin nicht auf seiner bisherigen Position beharren kann. Das Bundesarbeitsgericht hatte 2020 klargestellt, dass muslimischen Lehrerinnen das Tragen von Kopftüchern nicht generell verboten werden darf.

Gefährdung des Schulfriedens?

In einem Rundschreiben an alle Berliner Schulleitungen vor wenigen Tagen rückt die Schulverwaltung erstmals von ihrer bisherigen wortgetreuen Anwendung des Neutralitätsgesetzes ab. „Nur in den Fällen, in denen sich konkret die Gefährdung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität abzeichnet, ist das Tragen religiös geprägter Kleidungsstücke und Symbole zu untersagen“, hieß es nun. Die SPD-geführte Bildungsverwaltung sprach sich jahrelang dagegen aus, dass sichtbare religiöse Symbole in den Schulen gezeigt werden dürfen. Allerdings verlor die Verwaltung sämtliche Prozesse gegen muslimische Lehrerinnen. Nach der Wiederholungswahl warten also große Herausforderungen auf den neuen Berliner Senat. Im Koalitionsvertrag, der am 3. April vorgestellt wurde, heißt es: „Das Neutralitätsgesetz passen wir gerichtsfest an die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts an.“

Es ist zu hoffen, dass dabei auch die unterschiedlichen Perspektiven der besonders betroffenen Mädchen und Frauen eine Rolle spielen, die entweder aus freien Stücken ein Kopftuch tragen wollen oder aber mit der Erwartung konfrontiert werden, ein Kopftuch tragen zu müssen, obwohl sie das ablehnen. Man darf gespannt sein.