Bauen als Verbindung von Tradition und Moderne

Als 1964 die Olympischen Spiele in Tokio stattfanden, schaute sich der damals zehnjährige Kengo Kuma mit seinem Vater Schwimmwettkämpfe an. Doch das sportliche Ereignis wurde für ihn zur Nebensache. Vielmehr faszinierte den Jungen die Architektur des von Kenzo Tange entworfenen Sportzentrums Yoyogi mit seinem riesigen geschwungenen Dach. „An diesem Tag beschloss ich, Architekt zu werden“, sagt Kuma. Rund 55 Jahre später lieferte Kuma den Entwurf des neuen Nationalstadions für die Olympiade 2020 in Tokio.

Mittlerweile gilt der 1954 in Yokohama geborene Japaner als einer der weltweit bedeutendsten Vertreter der zeitgenössischen Architektur. „Kengo Kuma baut für das 21. Jahrhundert“, sagt Eva Kraus, Intendantin der Bundeskunsthalle. Dort präsentiert eine Ausstellung bis zum 1. September Kumas besondere Arbeitsweise. „Meine wichtigste Botschaft ist: Wir leben nicht mehr in einer Zeit, in der man Gebäude nur aus Beton und Stahl bauen sollte“, erklärte Kuma in Bonn. Diese Art des Bauens habe nach seinem Gefühl auch zu Naturkatastrophen und Erderwärmung beigetragen. Seit dem Tsunami und der Nuklearkatastrophe in Fukushima 2011 habe er verstärkt über den Respekt vor der Natur nachgedacht. „Wir sollten aus lokalen Materialien intimere Gebäude bauen.“

Kumas Architektur zeichnet sich durch die Verbindung von Tradition und Moderne aus. Für seine Projekte nutzt er hauptsächlich traditionelles japanisches Baumaterial wie Holz, Papier und Metall. Zusammen mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in seinen Büros in Tokio und Paris forscht er zudem nach Alternativen zu Beton und Stahl. Ziel seiner Entwürfe sei es, die Gebäude mit ihrer Umgebung zu verschmelzen, sagt Kuma. Unter dem Titel „Kengo Kuma. Onomatopoeia Architecture“ zeigt die Bundeskunsthalle rund zwei Dutzend Modelle Kumas, die charakteristisch für seine Arbeitsweise sind.

Kuma setzt bei seinen Entwürfen sinnliche Wahrnehmungen als Strategie ein. So nutzt er etwa Onomatopoesie, also Lautmalerei, für die Material- und Formfindung. „Architektur hat viele Gemeinsamkeiten mit Musik und Tanz“, sagt Kuma. Er wolle die natürlichen Materialien zum Singen und Tanzen bringen. Da es aber in der Architektur keine Noten gebe, habe er die Onomatopoesie als kreative Methode gewählt.

Kuma entwickelte 13 verschiedene lautmalerische Doppelsilben als Kategorien für den Charakter von Gebäuden. Seine Onomatopoesien seien nicht nur Laute, sondern sie drückten auch sein Verständnis von einem Gebäude aus, erklärt Kuma. Sie dienten dazu, die Richtung des Designs zu finden, wenn er neue Gebäude plane, erklärt der Architekt. Die Ausstellung in der Bundeskunsthalle gliedert sich nach den 13 Onomatopoesien und zeigt jeweils dazu exemplarische Bau-Entwürfe.

Das Nationalstadion in Tokio etwa entwarf Kuma nach dem Prinzip der Onomatopoesie „Para Para“. Sie steht für „Körper“ und „Leere“. Hier entstehe ein schwebender Eindruck, indem Holzteile mit Zwischenräumen verbaut würden, sagt Kuma. Charakteristisch für das Stadiongebäude ist seine hölzerne Stabverkleidung und hängende Begrünung. Durch Öffnungen ergibt sich in den heiß-feuchten Sommern Tokios eine natürliche Belüftung.

„Guru Guru“ zum Beispiel charakterisiert in Kumas Architektur eine geschwungene Fließbewegung. Angewandt hat er sie unter anderem beim 2021 fertiggestellten Christian Andersen Museum im dänischen Odense. Es besteht aus mehreren ovalen Baukörpern mit begrünten Dächern. Verbunden sind sie durch ein Labyrinth aus geschwungenen Hecken und Wegen.

Kuma, der bereits zahlreiche Architekturpreise erhielt, baute bislang
weltweit in rund 20 Ländern. In Deutschland gibt es von ihm bisher lediglich kleinere Bauten: Ein Teehaus aus einer aufblasbaren textilen Hülle, das im Garten des Museums für angewandte Kunst in Frankfurt a.M. steht. Zudem entwarf Kuma ein aus Holzbalken konstruiertes Meditationshaus für ein Hotel im bayerischen Krün.

Die Ausstellung in der Bundeskunsthalle wurde anlässlich der Architekturbiennale 2023 in Venedig entwickelt. Sie ist eine Übernahme aus dem Palazzo Cavalli-Franchetti, Sitz der venezianischen Wissenschafts- und Kultureinrichtung Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti.