„Alle Schurken dieser Welt persönlich gekannt“

Im Vietnamkrieg berichtete er als Gefangener der Vietcong, er begleitete Ayatollah Khomeini auf seinem Flug nach Teheran, er sprach mit den afghanischen Mudschaheddin und den kurdischen Peschmerga. Er habe alle Länder der Erde bereist, es fehlten lediglich ein paar Atolle im Pazifik und ein paar winzige Eilande in der Karibik, erklärte der im Jahr 2014 gestorbene Journalist und Buchautor Peter Scholl-Latour. Vor 100 Jahren, am 9. März 1924, wurde er geboren.

Berühmt machte ihn die ZDF-Reportage „Acht Tage bei den Vietcong“ im Jahr 1973: Dort berichtete er direkt aus den Stützpunkten des Vietcong, nachdem er mit seinem Kamerateam auf dem Weg in die Kampfzone gefangen genommen wurde. Die Kriegsregion kannte er bereits als Fallschirmspringer der Eliteeinheit der französischen Fernost-Armee, für die er sich 1945 verpflichtet hatte. Sein 1979 veröffentlichtes Buch „Der Tod im Reisfeld“ über den Indochinakrieg war zu seiner Zeit eines der meistgekauften Sachbücher in Deutschland.

Als der „Revolutionsführer“ Khomeini nach dem Sturz des Schahs 1979 nach Teheran flog, war Scholl-Latour dabei. „Ich bin wohl der Europäer, der Ungläubige, der ihm am nahesten gekommen ist – und dem er vertraute“, sagte der Journalist, der die deutsche und französische Staatsbürgerschaft besaß, im Jahr 2009 der Deutschen Welle. Ein Vertrauter Khomeinis steckte ihm eine Mappe zu, für den Fall, dass Khomeini nach der Landung etwas zustoßen sollte. Erst später erfuhr er den Inhalt: „Ich war also zwei Stunden lang der Wächter der iranischen Verfassung“, erklärte der Journalist.

Der am 9. März 1924 in Bochum geborene Scholl-Latour wuchs mit der deutschen und der französischen Sprache auf: Seine Eltern waren beide in Elsaß-Lothringen geboren. Schon als Kind sei er von Karl Mays Orientabenteuern sowie den großen Weltentdeckern und unerschrockenen Forschern fasziniert gewesen.

Nach den Nürnberger Rassegesetzen der Nationalsozialisten galt Scholl-Latour als „Mischling ersten Grades“, da die Mutter jüdische Wurzeln hatte. 1936 wurde er von den Eltern in ein Internat ins schweizerischen Fribourg geschickt. 1940 musste er jedoch wieder nach Deutschland zurückkehren.

Nach einem missglückten Versuch, sich den Partisanen Titos in Jugoslawien anzuschließen, wurde Scholl-Latour von der Gestapo verhaftet. In der Haft in Prag erlebte er seine Scheinhinrichtung. Vor dem Gefangenentransport zum Reichssicherheitshauptamt in Berlin wurde er durch eine Erkrankung an Flecktyphus gerettet.

Zum Journalismus sei er durch Zufall gekommen, berichtete Scholl-Latour: Nach Kriegsende unternahm er für den französischen Geheimdienst illegale Reisen in die Sowjetische Besatzungszone. Seine Berichte darüber wurden von der Zeitung „Le Monde“ als Artikelserie gedruckt. Für die „Saarbrücker Zeitung“, bei der er ein Volontariat absolvierte, war er dann als Auslandsreporter „von Mexiko bis Usbekistan“ im Einsatz. Ab den 60er Jahren berichtete er für die ARD und das ZDF aus Afrika, aus Südostasien oder Afghanistan.

Er habe fast alle Schurken dieser Welt persönlich gekannt, würdigte ihn der Journalist und langjährige Moderator der „Tagesthemen“, Ulrich Wickert, in seinem Nachruf „Keinem gefällig, allen ein Lehrer“ in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Scholl-Latour, der auch Arabisch sprach, erhielt zahlreiche Auszeichnungen vom Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, den Henri-Nannen-Preis für sein publizistisches Lebenswerk bis zu einer Ehrenprofessur der Ruhr-Universität Bochum (1999).

Scholl-Latour, der an der Pariser Sorbonne-Universität promovierte und später in Beirut studierte, leitete unter anderem das ARD-Studio in Paris. Zudem war er zwischenzeitlich WDR-Fernsehdirektor und Chefredakteur des „Stern“. Als das Saarland nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst noch an Frankreich angeschlossen und in den französischen Währungsraum einbezogen war, war Scholl-Latour auch zwei Jahre Regierungssprecher.

Der Autor und Journalist war aber auch umstritten: Die Veröffentlichungen Scholl-Latours lieferten „keine Analysen oder Erkenntnisse, die helfen könnten, die Vorgänge in der Welt zu verstehen“, sagt die Vorsitzende des Auslandskorrespondenten-Netzwerks „Weltreporter.net“, Bettina Rühl. In seinem Buch „Afrikanische Totenklage“ würden sich beispielsweise zahlreiche kolonialistische Stereotype finden, betont die aus Kenia berichtende Journalistin. Auch dem Islam sei er voller Vorurteile begegnet.

Scholl-Latour sei es darum gegangen, „das persönliche Erlebnis des Korrespondenten zu transportieren“, hebt hingegen der frühere Leiter des Grimme-Instituts, Uwe Kammann, hervor. Er habe umfassender als jeder andere Journalist die vielfältigen Ausprägungen des Islam gekannt, auch die damit verbundenen politischen Implikationen, Konflikte und Machtkämpfe. Viele seiner Einschätzungen hätten sich bestätigt.

In den späteren Jahren galt der immer stärker nuschelnde, von sich eingenommene und schnell reizbare Scholl-Latour zunehmend als schwieriger Gesprächspartner. Medien warf er „political correctness“ vor, er selbst veröffentlichte unter anderem bei der neurechten „Jungen Freiheit“.

Der Reporter, der in Bad Honnef, Berlin, Paris und bei Nizza lebte, war bis ins hohe Alter in der Welt unterwegs. Mit 87 Jahren begleitete er eine Patrouille der Bundeswehr in den Provinzen Afghanistans. Vor seinem Tod plante er noch eine Reise in den Tschad. „Warum sollte ich meinem Lebensstil, dem Rausch neuer Erkundungen entsagen, bevor die körperliche Gebrechlichkeit eines nahen Todes ohnehin diesen Verzicht erzwingen wird“, schrieb er in seiner Autobiografie, die er nicht mehr beenden konnte. Er starb im Alter von 90 Jahren am 16. August 2014 im nordrhein-westfälischen Rhöndorf in Bad Honnef.