„Genau mein Ding“

Er war Macher und Veränderer, hat den Konflikt nicht gescheut: Acht Jahre lang hat Albert Henz als Theologischer Vizepräsident die Evangelische Kirche von Westfalen an entscheidenden Stellen mitgestaltet. Jetzt geht er in den Ruhestand. Ein Rückblick

„Der kehrt mit eisernem Besen", hieß es, als Albert Henz vor acht Jahren sein Amt antrat. Als Theologischer Vizepräsident war er Stellvertreter von Präses Alfred Buß, dann von dessen Nachfolgerin Präses Annette Kurschus. Henz war zuständig für die Bereiche gesellschaftliche Verantwortung, Öffentlichkeitsarbeit – und hat für die mittlere Leitungsebene der Evangelischen Kirche von Westfalen neue Konzepte gesucht. Am 19. Juni ist letzer Arbeitstag. Was bleibt? Mit Albert Henz sprach Gerd-Matthias Hoeffchen.

Acht Jahre als Theologischer Vizepräsident der Evangelischen Kirche von Westfalen. Der letzte Arbeitstag naht. Was überwiegt? Erleichterung?
Es war eine erfüllende Zeit. Ich konnte einiges bewegen, gestalten, Verantwortung übernehmen – das ist genau mein Ding. Insofern blicke ich voll Dankbarkeit zurück. Es waren aber auch acht anstrengende Jahre. Die forderndste Zeit meiner Berufsbiographie.

Können Sie uns Schwerpunkte Ihrer Arbeit nennen? Auch, was vielleicht nicht so gelungen ist?
Mir lag immer besonders am Herzen  der Bereich der Kommunikation. Nicht nur, aber vor allem auch mit der jungen Generation.

Zur Erklärung für unsere Leserinnen und Leser: Sie waren ja nicht nur Theologischer Vizepräsident, sondern auch Fachdezernent …
… für Öffentlichkeitsarbeit und gesellschaftliche Verantwortung. Richtig. Bei der Öffentlichkeitsarbeit  glaube ich, was mir wirklich gelungen ist, ist der Aufbau und Umbau der Kommunikationsabteilung der Landeskirche. Das ging nicht ohne Ruckeln. Und vor allem im Bereich Internet und Social Media muss natürlich auch noch mehr passieren. Aber: Da sind wir jetzt strukturell solide aufgestellt.

Sie haben den Bereich Öffentlichkeitsarbeit in einer Zeit übernommen, in der über die Kirche nicht immer nur Gutes zu hören und zu lesen war.
Die Berichterstattung war in der Tat damals überwiegend negativ. Staat-Kirchen-Verträge, das Klischee: die Kirche schwimmt im Geld, Kapitalertragsteuer, Missbrauchsskandale. Auch wenn vieles davon eigentlich oft eher an  die katholische Kirche adressiert war, haben wir als evangelische Kirche natürlich auch unser Fett wegbekommen.

Aber dann kam die Reformationsdekade …
Das muss man gar nicht spöttisch sagen. Das Reformationsjubiläum war in der Tat ein Glücksfall für die Kirche. Wir haben natürlich auch etwas dafür getan. Alle haben Hand in Hand gearbeitet. Die Evangelische Kirche in Deutschland, die Landeskirchen, Kirchenkreise und Gemeinden. Das hat sehr gut geklappt. Und mit unserer westfälischen Kampagne „Einfach frei“ haben wir uns erfolgreich an neue Formate gewagt: Mitgliederpost, Zusammenarbeit mit dem Landschaftsverband, Ausstellung im Kloster Dalheim. Das alles hat zu einem deutlich besseren, positiven Image der Kirche beigetragen. Auch unser Umgang mit der Flüchtlingsfrage ist in den Medien ganz überwiegend als glaubwürdig rübergekommen. Dafür bin ich sehr dankbar.

Das war der Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Gab es auch im Bereich gesellschaftliche Verantwortung solche Höhepunkte?
Der war ganz sicherlich die Hauptvorlage „Familien heute“. Die Frage nach gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften. Was ist eigentliche eine „Familie“? Das Ringen darum war  ein sehr brüchiger Prozess. Es drohten Verwerfungen zwischen den verschiedenen Lagern. Zumal parallel zu unserer westfälischen Arbeit ja auch noch auf Ebene der EKD an dem Thema gearbeitet wurde. Ich glaube, man kann sagen, für den Bereich Westfalen ist der Prozess gelungen, nach langen Diskussionen, in denen wir versucht haben, alle mitzunehmen. Auch die Gruppen, die sich einem bestimmten wörtlichen Schriftverständnis verpflichtet sehen. Ich glaube, alle haben akzeptiert, dass wir theologisch verantwortet gehandelt haben. Und niemand ist zu irgendetwas gezwungen worden.

Wie ist denn das Verhältnis der westfälischen Kirche zu Politik?
Wir werden gehört. Und das auch bei sich verändernden politischen Mehrheiten. Siehe den letzten Regierungswechsel in NRW. Ob Kita-Gesetz, Flüchtlingsarbeit oder die Glaubensprüfungen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – die Stimme der Kirche wird beachtet.

Aber nicht immer passiert danach etwas.
Natürlich nicht. Aber: Vieles geschieht im Hintergrund. Viel mehr, als man gemeinhin mitbekommt. Da wird vieles erklärt, geklärt, zurechtgerückt. In diesem Zusammenhang muss man auch die jährliche Politikertagung im Haus Villigst sehen. Das ist ein echtes Erfolgsmodell, um das uns wohl jede andere Landeskirche beneidet.

Das waren die Highlights. Was ist unvollendet geblieben?
Zufrieden kann man ganz sicherlich nicht sein, dass wir bei den Klimazielen so hinterherhinken. Wir als Kirche haben weitgehend unsere Hausaufgaben gemacht. Im Gebäude-und Energiemanagement ist man relativ weit gekommen. Beim Thema Mobilität stagniert es. Aber global betrachtet ist da vieles nicht gelungen. Ein weiteres Thema ist der Bereich Aufnahme-und Willkommenskultur. Da hat sich eine Abschottungskultur breitgemacht. Jetzt sollen die sogenannten Ankerpunkte eingerichtet werden. Aber solch eine Getto-Situation wird der Integration nicht dienen. Die Flüchtlingsinitiativen der Kirchen sind aber weiterhin erfreulich aktiv.
Aber halt! Ein Highlight habe ich ja noch vergessen!

Nämlich?
Dass wir den Deutschen Evangelischen Kirchentag für 2019 nach Dortmund geholt haben. Das war alles andere als selbstverständlich. Darüber können wir uns wirklich freuen.

Das waren die Bereiche Öffentlichkeitsarbeit und gesellschaftliche Verantwortung, für die Sie als Fachdezernent zuständig waren. Wie ist Ihr Resümee als Vizepräsident?
In dieser Funktion habe ich die Präses an verschiedenen Stellen vertreten. Da geschieht vieles im Hintergrund. Ich glaube, es gibt keine Region in Westfalen, die ich in dieser Funktion nicht besucht habe. Es gab unzählige Sitzungen: in den Regionen, mit der Kirchenleitung, Klausuren mit den Superintendentinnen und Superintendenten, dem Leitungskreis. All diese Dinge zu organisieren, vorzubereiten und zu koordinieren – bis hin zu der Landessynode – das ist viel aufwendiger, als man denkt. Weil es so viele Akteure sind, die es zusammenzubringen gilt. Termine, Inhalte. Daneben habe ich es mir nicht nehmen lassen, allen Mitarbeitenden im Landeskirchenamt und den zugehörigen Häusern wenigstens kurz zum Geburtstag zu gratulieren.

Das passte auch noch in den Terminkalender?
Diese Zeit habe ich mir genommen. Genauso, wie für die Hausandachten im Landeskirchenamt. Ich sehe mich  immer noch in meiner Grundprofession als Pastor.
Neu entwickelt habe ich die Einarbeitung in die mittlere Leitungsebene. Die besteht jetzt aus drei Schritten. Wenn jemand Ämterleiter, Superintendentin, Assessor oder stellvertretende Ämterleiterin wird, dann bieten wir im LKA Dreitagesseminare an, um das Haus und die westfälischen Strukturen besser zu erklären. Dann haben wir – als einzige Landeskirche – verpflichtend, dass dieser Personenkreis einen Kurs in der Führungsakademie in Berlin mitmachen muss. Und wir fordern und finanzieren eine kontinuierliche Supervision. Damit man in diesen Ämtern auch bestehen kann. Die Sups sagen ja schon seit Längerem: So, wie das Amt hier bei uns gestrickt ist, kann man das gar nicht umsetzen. Und wir haben auch durchaus Mühe, Bewerbung dafür zu finden.

Ach? Woran liegt das?
In unserer kirchlichen Landschaft haben wir alles definiert, bis dahin, wie ein Gemeindebüro ausgestattet sein soll. Aber bei der Superintendentur eben nicht. Was sind da die Standards? Welche Unterstützung braucht er oder sie? Was ist einem Assessor zuzumuten? Wie viele Stunden muss  jemand freigestellt werden – je nach Größe des Kirchenkreises? Da habe ich mit einer Arbeitsgruppe dran gearbeitet. Zusammen mit Peter Burkowski von der Führungsakademie in Berlin haben wir einen Aufschlag für die Diskussion gemacht. Das werde ich bei der nächsten Sup-Klausur noch abliefern.

Stichwort: Reformprozess?
Da sind wir nicht wirklich weitergekommen. Nach den ersten Jahren des Aufbruchs ist es uns jetzt nicht gelungen, so etwas wie ein Zielbild zu entwickeln für die  Entwicklung unserer Kirche. Vielleicht ist die Zeit dafür einfach noch nicht reif. Hängt vielleicht auch damit zusammen, dass die handelnden Personen gewechselt haben. Die Kirchensteuern sprudeln momentan. Aber: Das Zukunftsbild fehlt. Und das macht mir zu schaffen. Damit wird sich mein Nachfolger  auseinandersetzen müssen.

Sie hatten schon vor Ihrem Amt als Vizepräsident Leitungsämter inne, als Diakoniepfarrer und später Superintendent im Kirchenkreis Iserlohn, als Theologischer Leiter der Diakonissenanstalt Sarepta in Bethel. Was waren die größten Unterschiede zum Amt des westfälischen Vizepräsidenten?
Die Gestaltungsräume und Gestaltungsmöglichkeiten sind auf dieser Ebene viel komplexer. Als Gemeindepfarrer, auch als Superintendent und erst recht in Sarepta konnte ich viel von dem umsetzen, was ich für richtig hielt. In einer so komplexen Behörde wie dem LKA sind da ganz andere dicke Bretter zu bohren. Da war ich vielleicht manchmal auch zu schnell für andere. Das ist ein altes Thema. Das kenne ich.

Sie sind vor acht Jahren angetreten als Macher, als Veränderer. Einige sagten damals, der holt den eisernen Besen raus. Sie haben sich mit manchem angelegt. Hatten Sie nie Probleme damit?
Das macht mir mehr Konflikte, als man mir anmerkt. Da waren auch nächtliches Ringen dabei und alles, was damit einhergeht. Ich bin überhaupt nicht vom Konflikt begeistert. Aber wenn ich um des Auftrags willen denke, dass der Konflikt nicht vermieden werden darf, dann vermeide ich ihn auch nicht. Aber ich bin da dünnhäutiger, als es vielleicht manchmal gesund für mich war.

Sie sagten vorhin, in Ihrer Grundprofession sahen Sie sich immer als Pastor. Wie bekommt man das in Einklang: Seelsorge und Leitungshandeln?
Man muss das auseinanderhalten. Wo bin ich Seelsorger? Wo bin ich als Leitungsmensch gefragt? Manchmal kamen Leute zu mir, die sagten: Ich hätte gern ein seelsorgliches Thema mit Ihnen besprochen. Dann antworte ich: Wenn das ein seelsorgliches Thema ist, dann können wir offen reden. Aber dann bleibt auch alles hier unter uns, nichts geht hinaus. Wollen Sie das? Nein, das war natürlich dann doch nicht gewünscht. Dann muss man eben klären, auf welcher Ebene wir etwas bereden.

Ganz anderes Thema: Insgesamt, nicht nur in der Kirche, ist ja eine neue Generation in der Leitung herangewachsen. Auch, was Kleidungs- und Stilfragen angeht. Sie kann ich mir schlecht mit einem Dreitagebart vorstellen …
(Lacht.) Sie sollten mich in Holland sehen, wenn wir mit unserem Wohnwagen unterwegs sind. Aber generell finde ich schon: Anzug tragen hat auch etwas mit Respekt vor dem Gegenüber zu tun. Ich weiß, das kann man anders sehen. Aber für mich ist das so. Ich bin schon als Gemeindepfarrer im Krankenhaus manchmal für einen Pharmavertreter gehalten worden. Das hängt natürlich damit zusammen, was für ein Typ man ist. Aber mich persönlich stört es schon gewaltig, wenn jemand zum Beispiel unter dem Talar eine Jeans trägt.

Wie würden Sie Ihre Frömmigkeit beschreiben?
Ich bin ganz klar pietistisch geprägt. Nicht vom Elternhaus her. Aber durch den Konfirmandenunterricht. Mich hat ein Gemeindehelfer angesprochen, ob ich nicht Kindergottesdienst-Helfer werden wollte. Das habe ich dann getan. Anschließend die Lektorenausbildung gemacht. Schon damals gab es in meiner pfälzischen Heimatkirche zu wenige Pfarrerinnen und Pfarrer.

Dann haben Sie studiert und die akademische Theologie kennengelernt.
Natürlich. Aber auch da war ich immer von einer tiefen, persönlichen – vielleicht kann man sagen: Herzensfrömmigkeit geprägt. Eine entscheidende Stelle  war, als ich als junger Vikar meine erste Beerdigung halten sollte. Da merkte ich: Ich habe ganz viel im Kopf. Aber wie kann ich Tod und Auferstehung so predigen, dass ich es mit meinem Leben decke – und es den Menschen, die zuhören, etwas sagt?

Als Vizepräsident mussten Sie sich mit vielen Themen beschäftigen: Social Media, Flüchtlingsarbeit, akademische Theologie, Begabtenförderung, Bibliodrama. Sie spielen Orgel, Klavier, Gitarre …
… seit einiger Zeit auch Trompete …

… und dann mussten Sie sich immer wieder hinstellen und eine klare Ansage machen: Da geht es lang! Wie erlangt man so eine Kompetenz und so ein Selbstbewusstsein?
Man muss es sich erarbeiten. Das mache ich gerne. Vor allem muss man erst mal zuhören. Da hilft einem eine gesunde Neugier. Gut, es spielt vielleicht auch meine familiäre Prägung eine Rolle. Ich komme aus einem Handwerksbetrieb.

Eine Schreinerei in der Pfalz.
Ein kleiner Betrieb. Wenn wir, die ganze Familie, nicht immer geguckt hätten, was der Kunde will, hätten wir nicht überleben können. Hätten wir das gemacht wie manche Behörde – wir wären pleite gegangen. Geht nicht? Diesen Satz gab es für uns nicht. Man musste sich halt etwas einfallen lassen.

Kann man sagen: Sie sind ein Pragmatiker?
Ja, schon. Auch als Theologe. Ich lese natürlich viel und meine, dass ich theologisch fundiert bin. Auf  der Höhe der Zeit. Aber ich bin kein wissenschaftlicher, im Intellektuellen schwimmender Theologe. Eher ein praktischer, ein pastoraler.

Trotzdem haben Sie für die EKD-Synode im Ausschuss „Schrift und Verkündigung“ mitgearbeitet.
Und zwar sehr gerne und mit viel Freude. Nicht zuletzt bei dem Papier zur Judenmission. Aber ich sehe meine Rolle da eher als Moderator zwischen all den kirchenleitenden und professoralen Leuten. Ich habe sicher keine theologischen Flammenreden gehalten. Aber der kommunikative Aspekt – der ist mir wichtig. Mit Leuten reden. Gemeinsam Dinge klären. Auf den Punkt bringen. Für Verständigung sorgen. So habe ich immer meine Rolle gesehen. Und in diesem Sinne meinen Dienst auch gerne und freudig getan.

Am 19. Juni ist letzter Arbeitstag. Was kommt danach?
Ich werde viel auf Reisen sein. Mit den Kindern etwas unternehmen und natürlich  meiner Frau. Dann möchte ich die Bibliodrama-Arbeit wieder intensivieren. Gerade im Moment konkretisiert sich eine Anfrage aus Polen, dort eine solche Arbeit aufzubauen. Ich werde unser schönes skandinavisches, ökologisches Holzhaus genießen und bin froh, dass diese ständige Pendelei zwischen Bielefeld und meiner Wahlheimat Iserlohn aufhört. Und man wird mich sicher auf meiner Vespa sehen, wie ich über die sauerländischen Berge fahre. Also: Alles ein bisschen ruhiger. Aber durchaus aktiv.