“Zwischen uns das Leben” – Ein Schauspieler gerät in eine Krise

“Zwischen uns das Leben” ist eine feinfühlige Liebesstudie um einen Schauspieler in der Krise. Er begegnet einer früheren Geliebten und stellt sich in der neu aufflammenden Affäre den Gründen für das damalige Scheitern.

Der Seeregenpfeifer hatte Vorrang. Als der Sportlehrer mit Verspätung zur Trainingseinheit am Strand erscheint, nennt er den kleinen Wasservogel als Grund. Sehe man einen, müsse man kurz stehen bleiben und die Gelegenheit nutzen, schließlich handele es sich um eine vom Aussterben bedrohte Tierart. Der Schauspieler Mathieu (Guillaume Canet) aber wirkt weniger erpicht auf diese Erklärung, warum er bei Wind und Kälte warten musste. Ist nicht er selbst auch so etwas wie ein seltener Vogel, bei dem es sich empfiehlt, eine unverhoffte Begegnung nicht undokumentiert zu lassen?

Diese leicht makabre Note muss wenigstens mitschwingen, wann immer Mathieu in dem Städtchen an der bretonischen Küste von Einwohnern erkannt und um gemeinsame Fotos gebeten wird. Was als Bewunderung für seine Filme zwar schmeichelhaft ist, aber einen beruflichen Bereich betrifft, den Mathieu selbst lieber als Vergangenheit abheften würde.

Dabei wäre er nicht dort, wo er jetzt ist, wenn er nicht vor einem neuen Schritt in seiner Karriere zurückgeschreckt wäre: Erstmals in seiner Karriere auf einer Theaterbühne zu stehen, mit einem ihm quasi auf den Leib geschriebenen Stück. Doch wenige Wochen vor der Premiere packte ihn die Angst und er warf alles hin. Das außerhalb der Saison unterbelegte Wellness-Hotel soll nun der Fluchtpunkt sein, an dem Mathieu sich darüber klar werden will, ob er nach dem Geschehenen überhaupt noch eine Zukunft hat.

Doch eben daran sät der französische Regisseur Stephane Brize Zweifel, wenn er zu Beginn von “Zwischen uns das Leben” die Unwirtlichkeit des Schauplatzes betont. Aus Mathieus Sicht scheint die Krise vollkommen. Sein Umfeld hingegen beurteilt die Lage weniger dramatisch.

Die Inszenierung von Brize konzentriert sich geraume Zeit ganz auf den Protagonisten. Schließlich wird die zweite wichtige Figur eingeführt. Die in dem Küstenort lebende Klavierlehrerin Alice (Alba Rohrwacher) nimmt mit Mathieu Kontakt auf, nachdem sie von der Anwesenheit des Schauspielers erfahren hat, und reißt diesen aus seinem Jammertal.

Bei einem Treffen in einem Cafe rufen sie sich die gemeinsame Vergangenheit ins Gedächtnis. 15 Jahre zuvor waren der angehende Schauspieler und die junge Musikerin in Paris miteinander liiert, trennten sich damals aber unter unguten Umständen. Alice spricht davon, dass Mathieu sie “kaputtgemacht” habe. Das klingt drastisch, doch sie scheint es ihm nicht mehr nachzutragen.

Mit ihrem Mann und ihrer Teenager-Tochter führt sie ein gutes Leben; neben dem trostbedürftigen Mathieu wirkt sie pragmatisch und entspannt. So sehr, dass sie die Aussicht, es könne bei diesem einen kurzen Gespräch bleiben, nicht beunruhigt. Mathieu hingegen drängt angesichts seiner baldigen Abreise auf weitere Rendezvous, und Alice lässt ihren Widerstand schrittweise fallen.

Die Idee des unverbindlichen Kontakts kann nicht lange aufrechterhalten werden. Doch mit dem Übergang zur Affäre bleibt Mathieu und Alice erst recht nichts anderes übrig, als sich den Enttäuschungen und unerfüllten Wünschen in ihren Leben zu stellen. Brize inszeniert diesen allmählichen Rückfall in alte romantische Anklänge mit großer Zurückhaltung. Ohne Rückblenden erhält die frühere Verbindung allein in den Gesprächen Kontur.

Damit liegt viel Last auf den Schultern von Guillaume Canet und Alba Rohrwacher, die diese Aufgabe jedoch mit hoher Präzision meistern. Canet entwickelt mit einer bemerkenswerten Bereitschaft, müde und verwundbar zu erscheinen, das stimmige Porträt eines an sich selbst Zweifelnden, dem der eigene Erfolg nie geheuer ist. Rohrwacher ist demgegenüber zuerst die Reagierende. Ihre Figur erscheint vermeintlich berechenbarer.

Doch rasch fügt sie ihr subtile Facetten hinzu: Ihr erglühendes Gesicht deutet die Gefühlswelten an, die sie im Dialog noch herunterzuspielen sucht; ihr Umgang mit Mathieus wiedergewecktem Interesse bleibt unvorhersehbar und nicht frei von Widersprüchen.

Die Form von Lebens- und Liebesbilanz, die sich in “Zwischen uns das Leben” vor den herben Küstenpanoramen entfaltet, erinnert in ihrem abgeklärten Grundton an Filme wie “Past Lives” von Celine Song oder “Die Wege des Lebens” von Sally Potter; aber auch Ingmar Bergmans Pionierarbeit in “Szenen einer Ehe” kann man als Referenz heranziehen.

Im Gegensatz zu diesen aber versagt sich Brize jede Melodramatik und setzt stattdessen auf Momente des Humors. Das umfasst absurde Elemente in dem Therapie-Hotel und fügt skurrile Figuren wie den Sportlehrer oder Beispiele für die Tücke des Objekts hinzu, die den Film stellenweise sogar in die Nähe von Jacques Tatis “Die Ferien des Monsieur Hulot” rücken. Zumal Brize auch Tatis Kunst der leisen Pointen beherrscht. Sanft und unaufdringlich verhindern sie, dass Mathieus Trübsal jemals zur bestimmenden Perspektive der feinfühligen Liebesstudie wird.