„Zutiefst israelfeindliches Machwerk“

Wann wird Kritik an der israelischen Politik antisemitisch? Eine akademische Publikation hat jetzt eine neue Debatte in Deutschland ausgelöst

FRANKFURT A. M. – Im Jahr 2009 wurde in Bethlehem ein dramatischer Appell veröffentlicht. Die Unterzeichner des „Kairos-Palästina-Dokuments“ bezeichnen darin die Besetzung der Palästinensergebiete „als Sünde gegen Gott und die Menschen“. Christen sollten Widerstand leisten. Der Appell vor allem palästinensischer Christen, den auch der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) in Genf verbreitete, sorgte für Empörung und löste vor allem bei christlich-jüdischen Gesellschaften Protest aus. Das Papier sehe die Schuld des Nahostkonflikts einseitig bei den Israelis, hieß es.
Jetzt ist der Streit neu aufgekocht. Der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit beklagt eine verzerrte Darstellung der israelischen Politik durch deutsche Theologen. Die im vergangenen Jahr von den emeritierten Theologieprofessoren Ulrich Duchrow und Hans G. Ulrich herausgegebene Publikation „Religionen für Gerechtigkeit in Palästina-Israel“ stelle den christlich-jüdischen Dialog „völlig verzerrt dar“, erklärte die Gesellschaft jetzt in Bad Nauheim: „Das ganze Buch ist zugleich ein zutiefst israelfeindliches Machwerk.“
Der Koordinierungsrat reagiert damit auf einen Artikel in der Tageszeitung „Die Welt“. Darin wird Duchrow, der früher Professor für systematische Theologie in Heidelberg war, vorgeworfen, Israel das Existenzrecht abzusprechen. Duchrow weist die Vorwürfe vehement zurück. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) distanzierte sich von der Publikation.
Der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit beklagte, dass die Autoren des Sammelbandes extrem einseitig für die palästinensische Seite Stellung bezögen. „Die in dem Band vertretenen Positionen widersprechen nach unserer Wahrnehmung diametral den Positionen zum christlich-jüdischen Dialog und zu Israel, wie sie von der EKD, deren Gliedkirchen und den kirchlichen Werken vertreten werden.“
Duchrow sagte, die Kritiker hätten seine Zitate „alle aus dem Zusammenhang gerissen und verdreht“. Er spreche Israel nicht das Existenzrecht ab, in dem „kritisierten Text steht das Gegenteil“. Gerechtigkeit sei die Vorbedingung für langfristige Sicherheit der Israelis. „Es ist deshalb eine zentrale Aufgabe zu zeigen, dass Gerechtigkeit den jüdischen Menschen auf lange Sicht dient“, erklärte Duchrow. „Die einzigen Verlierer werden die sein, die von Krieg und Gewalt profitieren.“ Er hoffe, dass die „Verleumdungen“ dazu führen, dass der Inhalt des Bandes in den Kirchen „offen diskutiert wird“.
Die EKD hat jede Form von Antisemitismus scharf verurteilt. Der Rat der EKD habe dies im April in seiner Erklärung „Antisemitismus ist Gotteslästerung“ unterstrichen, sagte ein EKD-Sprecher. In einer Broschüre der EKD vom Herbst 2017 werde auch die Grenze zwischen Antisemitismus und Antizionismus beschrieben. Von Duchrows Text distanziere sich die EKD „inhaltlich ausdrücklich“.  (Mehr zum Thema Antisemitismus auf Seite 5.)