Zum aktuellen Stand des Kolonialdialogs mit Namibia

Anfang des 20. Jahrhunderts schlugen deutsche Truppen im heutigen Namibia einen Aufstand blutig nieder. Die Aufarbeitung stockt – obwohl Deutschland und Namibia 2021 eine „Gemeinsame Erklärung“ aushandelten.

Oberleutnant Hans Techow war alarmiert. „200 Hereros beritten bewaffnet letzte Nacht bei Okahandya versammelt“, kabelte Techow am 11. Januar 1904 an das Oberkommando der sogenannten Schutztruppen in Deutsch-Südwestafrika. Die im Bundesarchiv aufbewahrte Abschrift des 120 Jahre alten Telegramms gehört zu den frühen Zeugnissen eines Aufstandes gegen die deutschen Kolonialherren, in dessen Verlauf bis 1908 mehrere Zehntausend Herero und später auch Nama sterben sollten.

Auslöser für die Rebellion waren Misshandlungen und Landraub durch die weißen Siedler. Wie wenig das Leben der schwarzen Bevölkerung zählte, geht aus den Schilderungen eines Missionars hervor. Die meisten Deutschen betrachteten den Herero „als ein Wesen, welches mit dem Pavian (Lieblingsname für Schwarze) so ziemlich auf einer Stufe steht und nur soweit Daseinsberechtigung hat, als es für den weissen Menschen von Nutzen ist. Aus dieser Gesinnung gehen dann nur zu oft hervor: Härte, Betrügerei, Ausbeutung, Ungerechtigkeit und Vergewaltigung, nicht selten sogar ein leichtfertiges Spielen mit dem Leben des Eingeborenen bis zum direkten Totschlag.“

Es war letzten Endes diese Gesinnung, mit der Lothar von Trotha in den Kampf gegen die Aufständischen zog. Am 2. Oktober 1914 gab der deutsche Truppenchef seinen „Vernichtungsbefehl“ aus. Darin kündigte er an, dass die Herero das Gebiet der Kolonie zu verlassen hätten. „Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen. Ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen.“

Das Geschehen prägt die Gesellschaft im heutigen Namibia noch heute. Nach mehrjährigen Verhandlungen paraphierten die deutsche und die namibische Regierung 2021 eine „Gemeinsame Erklärung“. Darin verständigten sie sich darauf, die Ereignisse „aus heutiger Perspektive“ als Völkermord zu bezeichnen. In den nächsten 30 Jahren sollen rund 1,1 Milliarden Euro in Wiederaufbau- und Entwicklungsprojekte in Namibia fließen.

Das Problem: Diese Erklärung ist immer noch nicht in Kraft getreten. Es fehlt die Zustimmung des namibischen Parlaments. Unterdessen reichten Gegner des Abkommens im Januar 2023 eine Klage beim obersten Gerichtshof von Namibia ein. Ziel ist es, die „Gemeinsame Erklärung“ außer Kraft zu setzen. Sie sei „ohne Beteiligung der von den tragischen Geschehnissen von 1904 bis 1908 Betroffenen oder allgemein der namibischen Öffentlichkeit“ verfasst worden. Eine Entscheidung steht noch aus.

Und Berlin? Tut nach Ansicht von Sevim Dagdelen viel zu wenig, um wieder Bewegung in den Dialog zu bringen. Wie aus einer am Freitag bekannt gewordenen Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Abgeordneten vom Bündnis Sahra Wagenknecht hervorgeht, gab es im Oktober 2023 in der namibischen Hauptstadt Windhoek das erste persönliche Treffen zwischen Vertretern der Bundesregierung und der namibischen Regierung seit Ende 2022. Anfang Dezember vergangenen Jahres seien dann „die Gespräche über die offen gebliebenen Auslegungsfragen“ in Berlin fortgesetzt worden. Die Antwort liegt der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) vor.

„Offenbar besteht seitens der Ampel kein wirkliches Interesse der Aufarbeitung deutscher Kolonialverbrechen in Afrika“, sagte Dagdelen der KNA. „Es ist eine wohlfeile Illusion zu meinen, diese zögerliche Haltung der Bundesregierung würde in den Ländern des globalen Südens nicht registriert werden.“

Ähnlich wie Dagdelen hatte sich zuvor der Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer geäußert. Er bemängelte zudem, dass es 120 Jahre nach Beginn des Völkermords an den Herero und Nama weder ein zentrales Denkmal noch einen Ort der wissenschaftlichen Aufarbeitung und des historischen Lernens gebe. „In Hamburg, Drehscheibe der Logistik für den Völkermord, werden am Baakenhafen, von wo die Schiffe nach Namibia abfuhren, Luxuswohnungen gebaut, an den Genozid erinnert nichts“, sagte Zimmerer der KNA.

Ende des Monats soll eine kritische Edition der Tagebücher von Trothas veröffentlicht werden. Der war sich seinerzeit sicher: „Jede andere Idee, hier Ruhe zu stiften, anders als mit Strömen von Blut, ist falsch.“