Zarathustra hat Heimweh

Ein Paar nimmt einen Flüchtling aus Afghanistan auf. Ob das wohl gut geht? In dem Roman „Zarathustra kam an einem Donnerstag“, der im Frühjahr 2024 beim Verlag osbert + spenza in Immenstaad am Bodensee erschienen ist, greift die Ravensburger Autorin Katrin Seglitz ein aktuelles Thema auf: die Spaltung der Gesellschaft.

Der Flüchtling „Zar“ aus Afghanistan tritt – so banal wie es der Titel verspricht – in den Alltag von Iris und Arne. Der unmittelbare Kontakt mit dem „Fremden“ im Haus stellt Gewohnheiten, Haltungen und Grundüberzeugungen der beiden in Frage. Im Laufe der Geschichte wird deutlich, dass Iris, Arne und Zar in unterschiedlichen „Welten“ leben.

Leser von Seglitz-Romanen kennen die Personenkonstellation bereits aus dem Vorgängerbuch „Schweigenberg“: der verurteilte DDR-Flüchtling Arne, der auf die Soft-Linke, Iris, trifft. „Ost und West hat mich mein ganzes Leben beschäftigt“, sagte Seglitz gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd)

Jahrgang 1960, war Seglitz beim Mauerfall 29 Jahre alt. „Das war etwas, was mich immer wieder bewegt hat, über die Grenze zu fahren, der Todesstreifen“, berichtet sie. 2014/2015 waren es die Fernsehberichte von der Bombardierung syrischer Städte, die Bilder von Bootsflüchtlingen auf dem Mittelmeer, die Seglitz bewegten. „Ich hatte das Gefühl, dass ganz Ravensburg engagiert war. Ich fand es beeindruckend, dieses zivile Engagement mitzuerleben“, erinnert sich die Autorin.

Aus Fakten und Fiktion ist ein vielschichtiger Roman entstanden, der die Beziehungsgeschichte zwischen drei Personen erzählt. Seglitz schildert eine Suche nach Erkenntnis, bei der sich in der Begegnung mit dem anderen Dinge klären.

Mit seinen zahlreichen Anspielungen und Doppeldeutigkeiten verlangt „Zarathustra kam an einem Donnerstag“ Aufmerksamkeit beim Lesen. Dass Zarathustra ein Religionsstifter, der Gründer des Zoroastrismus, war, muss man nicht wissen, um das Buch zu lesen. Hilfreich wäre es schon.

Denn in dem Roman geht es auch um eine religiöse Auseinandersetzung. In einer Szene begegnet Iris einer Nonne, die Gottes Stimme in der Stille besser zu hören meint. Iris dagegen liest gerade das philosophisch-dichterische Werk „Also sprach Zarathustra“ des Philosophen Friedrich Nietzsche (1844-1900) und erfährt darin: Gott ist tot.

Sagt mir Gott noch etwas? Was sagt mir Gott? Sie lege Wert darauf, unterschiedliche Perspektiven auf Gottesbilder zum Ausdruck zu bringen, betont die studierte Philosophin Seglitz. Die teilweise verstörende Widersprüchlichkeit Nietzsches flicht sie geschickt in den Roman ein.

Die Stärke des Romans ist, wie die Autorin verschiedene Handlungsfäden, verschieden Charaktere und politische Entwicklungen miteinander verwebt, ohne je die Distanz zu ihren Figuren zu verlieren. Die künstlerisch inspirierte Iris träumt von Verwandlungen, Arne, der eine schwierige Vergangenheit hat, sehnt sich nach einer heilen Familie und sucht Halt in der Macht. Zar ist zerrissen zwischen Traumatisierung, Heimweh und dem Versuch, in der neuen Lebenswirklichkeit Deutschland Fuß zu fassen.

Mit zehn Jahren habe sie angefangen, Tagebücher zu schreiben, sagt die in München (Bayern) gebürtige Autorin. „Ich war früh fasziniert von der Tatsache, dass wir 26 Buchstaben haben und man so unendlich viele Worte damit bilden kann“, erinnert sich Seglitz. Schreiben sei für sie eine Möglichkeit, sich mit der Welt zu verbinden, beschreibt das Mitglied der Schriftstellervereinigung PEN (Poets, Essayists, Novellists) Deutschland und der Meersburger Autorenrunde ihre Motivation.

„Zarathustra kam an einem Donnerstag“ ist nach „Der Bienenkönig“ und „Schweigenberg“ – 2020 auf der Shortlist des Thaddäus Troll Preises – Seglitz‘ dritter Roman. Wichtig sei ihr, im Gegenüber immer einen Menschen zu sehen, „und auch im Fernsten meinen Nächsten“, lässt die Schriftstellerin wissen und zitiert einmal mehr Friedrich Nietzsche: „Meine Brüder, zu Nächstenliebe rathe ich euch nicht: ich rathe euch zur Fernsten-Liebe.“ (1153/29.05.2024)