Der langjährige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse macht bei seinen ostdeutschen Landsleuten eine „autoritäre Prägung“ mitverantwortlich für Unzufriedenheit und Proteststimmung. Immer noch werde in Richtung Westen geschaut und nicht wahrgenommen, was in den vergangenen 30 Jahren positiv im Osten passiert ist, sagte der SPD-Politiker dem Evangelischen Pressedienst (epd). Anhaltende Schuldzuweisungen in Richtung Westen förderten aber weder ostdeutsche Selbstkritik noch ostdeutsches Selbstbewusstsein.
Thierse skeptisch zu einer „Ostquote“
Thierse sprach von einem „Minderwertigkeitsrucksack“, den viele Ostdeutsche immer noch mit sich herumschleppten. Er unterstrich: „In der DDR konnte kaum eine selbstbewusste Bürgerschaft entstehen, weil nichts mehr verdammt war als Selbstverantwortung.“ Alles habe unter der Führung von Staat und Partei gestanden, möglich waren allenfalls Eingaben. „Jetzt gibt es Eingaben und Wut an den Westen, nach der eigenen Verantwortung wird weniger gefragt. Das ist in bestimmter Weise autoritäres Verhalten“, sagte der frühere Parlamentspräsident.
Trotz der anhaltenden Unterrepräsentanz Ostdeutscher in Führungspositionen äußerte sich der Sozialdemokrat allerdings skeptisch zu einer „Ostquote“. Dass Ostdeutsche lange Zeit kaum in Führungspositionen gekommen sind, sei erklärbar. Es gebe keine Revolutionen ohne Personal- und Elitenwechsel: „Wir wollten die SED-Juristen und die SED-Journalisten loswerden und Leute in der Wirtschaft haben, die mehr von Markt- als von Planwirtschaft verstehen.“ Mit einer gewissen Verzögerung müsse dies nun „durch die Nachwachsenden wirklich und endlich ausgeglichen werden“. Zu immer wieder aufkommenden Forderungen nach einer Quote sagte Thierse: „Ob nach 30 Jahren noch eine Ostquote hilft, da bin ich etwas zögerlich.“
