„Ossi und „Wessi“: Worte, die bis heute weh tun

Unsere Autorin Marion Wulf-Nixdorf kämpft bis heute mit den Verletzungen, die westliche Menschen ihr zufügten. Oft waren es Kollegen. Sie weiß: Nur miteinander reden hilft.

Kühlungsborn an der Ostsee mit Wachturm und Möwe
Kühlungsborn an der Ostsee mit Wachturm und MöweIMAGO / Stefan Zeitz

Die meisten haben schon das Bundespresseamt verlassen – ein toller Ort an der Spree in Berlin, an dem wir Kirchenzeitungsleute aus der Nordkirche und der Hannoverschen Landeskirche unseren Workshop halten können. Klasse, mal in so ein Amt hereinzukommen. Auch fast ein Vierteljahrhundert nach der Friedlichen Revolution staune ich, was alles möglich ist. Dieses große Deutschland, das mir offen steht. Ja, die Welt. Mir, der Frau aus Mecklenburg, die bis dahin länger in der DDR lebte als in der BRD.

Von „Wessis“, die alles besser wissen

Ein Pastor, Mitarbeiter in Niedersachsen, hat in diesen Tagen immer wieder den großen Wessi raushängen lassen. Dann posaunte er noch zum Schluss einen Satz in den fast leeren Raum – der mir die Beine wegzog. Ich weiß heute nicht mehr genau, was er gesagt hat, aber ich erinnere mich an seine Wirkung. Ich war nicht allein gemeint, sondern alle anwesenden „Ossis“.

Unsere Autorin Marion Wulf-Nixdorf
Unsere Autorin Marion Wulf-NixdorfStudioline

Er tobte aus dem Raum. Ich erstarrte, dann ging ich zum Bahnhof, fuhr nach Hause – und weinte. Vor Erschöpfung, aber auch, weil ich verletzt war von dem, was der „Wessi“ gesagt hatte. Als ich Freunden davon erzählte, lächelten einige müde und meinten: Na, Kirche ist ja immer ein wenig hinterher…  so etwas haben wir in den 1990ern immerzu erlebt. „Wessis“, die alles besser wissen. Die uns von oben herab behandeln.

Mit „Wessis“ befreundet

Auf solche Diskussionen wollte ich mich nicht einlassen. Ich hatte im Domchor „Wessis“ kennengelernt, mich mit ihnen angefreundet. Ich hatte schon vor der Wende viele Kollegen aus dem Westen auf meinem Sofa schlafen lassen, hatte Freundinnen dort, war neugierig auf die Menschen „von drüben“. Aber ich hatte Angst, dass ich mit meinen gut ausgebildeten, selbstbewussten Kolleginnen und Kollegen nicht mithalten konnte. Ich war zu dem Zeitpunkt schon seit fast 30 Jahren Redakteurin in Mecklenburg, ich liebte meinen Job, aber es fühlte sich so an, als könnten die irgendwie alles und ich nichts.

Ich brauchte Hilfe, um im Westen zu bestehen. „Was meinen Sie, wie viele Kirchenleute schon bei mir gesessen haben… .“ meinte die Ärztin, die mich durch die Zeit begleitete, gab mir das Gefühl, dass ich nicht allein war. Das half. Ich bin dankbar, dass wir in einem Deutschland leben. Dennoch erlebe ich immer wieder Unterschiede, Verletzungen. Es war schwierig und ist es bis heute manchmal. Das Zusammenwachsen braucht einfach Zeit – und reden, reden, reden.