„Wir hoffen, ein Stück Geschichte wiederherstellen zu können“

Mehr als tausend menschliche Schädel hat die deutsche Kolonialregierung Anfang des 20. Jahrhunderts aus Afrika nach Deutschland geschickt. Darunter sind viele aus dem heutigen Tansania, das zwischen 1885 und 1918 unter deutscher Kolonialherrschaft stand. Bis heute sind die Nachfahren von Songea Mbano, einem von den Deutschen ermordeten Widerstandskämpfer, auf der Suche nach seinem Schädel. Von ihnen erzählt der Dokumentarfilm „Das leere Grab“ der tansanischen Filmemacherin Cece Mlay und ihrer deutschen Kollegin Agnes Lisa Wegner, der auf der Berlinale Premiere feierte. Mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) hat Cece Mlay über den Schmerz in den Familien gesprochen und erklärt, warum die Rückgabe menschlicher Gebeine so bedeutend ist.

epd: Warum ist das Thema Restitution wichtig?

Cece Mlay: Mit den Objekten und menschlichen Überresten, die die Kolonialregierung aus Tansania weggenommen hat, fehlt auch ein Teil der Geschichte. Wir hoffen, mit dem Film ein Stück Geschichte wiederherstellen zu können. Denn Geschichten über Widerstand gegen die Kolonialregierung sind zum Teil schwer zugänglich. Sie werden innerhalb von Familien weitergetragen. Der Schmerz über den Verlust hat sich in den Familien konserviert, aber dringt selten an die Öffentlichkeit.

epd: Welche Rolle spielt der Film „Das leere Grab“ für die Nachfahren?

Mlay: Die Familien haben uns eingeladen, Teil ihrer Geschichte zu werden, weil sie nicht mehr weiter kamen. Sie steckten trotz jahrzehntelanger Bemühungen in bürokratischen Verfahren fest, keiner hörte ihnen zu oder beantwortete ihre Fragen. Durch den Film werden sie mit ihren Forderungen auf Rückgabe der sterblichen Überreste ihrer Vorfahren in Deutschland lauter gehört. Dadurch, dass viele Menschen erst durch den Film erfahren, was für Verbrechen die Deutschen in der Kolonialzeit begangen haben, kann eine Bewegung entstehen, die den Familien hoffentlich weiterhilft.

epd: Wie hat das Publikum auf den Film reagiert?

Mlay: Das Publikum schien bereit, sich der Geschichte zu stellen. Es war ein gutes Gefühl, dass ein ganzer Saal bis auf den letzten Platz gefüllt mit überwiegend deutschem Publikum eineinhalb Stunden lang zuhören musste und unsere Sicht der Geschichte gehört hat. Da haben sich für einen Moment die Machtverhältnisse umgekehrt, die Familien waren in der Machtposition. So oft wird über uns gesprochen, selten können wir über die Geschichte und unsere Rolle sprechen, ohne unterbrochen zu werden. Im Gespräch danach kamen Themen auf wie vererbter Schmerz und vererbte Scham. Kolonialgeschichte wird nicht ehrlich unterrichtet. Wir hoffen, dass sich das ändern wird und wollen mit dem Film auch an Schulen in Tansania und Deutschland reisen.