„Wir dürfen uns nicht polarisieren lassen“

Wer setzt sich in Palästina für den Frieden ein? Eindrücke vom Jahresfest des Berliner Jerusalemsverein mit prominenten Gästen. die über die schwierige Situation berichteten.

Für Toleranz und Frieden (v.l.): Reem Alhajajira, Sally Azar, Regular, Alon, Hyam Tannous.
Für Toleranz und Frieden (v.l.): Reem Alhajajira, Sally Azar, Regular, Alon, Hyam Tannous.Thilo Haak

So viel Andrang gibt es beim Jahresfest des Berliner Jerusalemsvereins sonst nicht. Die Menschen strömen auf die freien Plätze im großen Hörsaal des Kaiserin-Friedrich-Hauses am Robert-Koch-Platz auf dem ­Gelände der Berliner Charité. Prominente Gäste aus Israel haben sich angesagt. Bischof Ibrahim Azar von der evangelisch-lutherischen Kirche im Heiligen Land und Jordanien (ELCJHL). Mit ihm ist die im Januar 2023 als erste Frau seiner Kirche ­ordinierte Pfarrerin Sally Azar, seine Tochter, zu Gast und Matthias Wolf, Schulleiter von Talitha Kumi.

Das Thema brisant, Dialog und ­Toleranz im Nahen Osten: „Ertragt einander in Liebe“ (Epheser 4,2).  Gewagte Ansage angesichts von Misstrauen und Angst unter den Menschen in Palästina und ­Israel in diesen ­Tagen nach dem Massaker der Hamas auf Israelis und den dadurch ausgelösten Bombardements israelischer Militärs.

Generalverdacht gegen alle Palästinenser

„Es war schwer für uns zu erleben, dass wir auch für Terroristen gehalten wurden“, sagt Bischof Azar in seinem Grußwort. Für eine kurze Zeit nach dem 7. Oktober sei ein Generalverdacht gegen Palästinenser spürbar gewesen. Er stellt seine Friedensvision daneben: „Wir wollen miteinander leben. Das Land ist groß genug für alle und noch viel mehr.“ Jede christliche Familie der ELCJHL hätte Angehörige im Gaza-Streifen und sorge sich um sie und um ihr eigenes Leben. Wichtig sei jetzt, wie man palästinensischen Familien helfen könne. Er sehe die Kinder, die um ihre Väter und Mütter ­weinen. „Wir müssen wieder ­Waisenhäuser einrichten“, sagt der Bischof. „Genauso wie in den ­Anfängen unserer Kirche.“ Sorgen bereitet ihm auch die Zukunft der etwa 2000 lutherischen Christinnen und Christen mit ihren Gemeinden in Jerusalem, Bethlehem, Beit Jala, Beit Sahour, Ramallah und Amman.  ­ „Wir wissen nicht, ob wir in Palästina eine Zukunft haben. Beten Sie für uns und kommen Sie uns besuchen, als Freunde und als Menschen, die an unserer Seite stehen“, bat er die Mitglieder und Gäste des Jerusalemsvereins.

Wie wichtig Lernen in Respekt voreinander an der vom Berliner Missionswerk getragenen deutschen evangelischen Schule Talitha Kumi in Beit Jala bei Bethlehem sei, berichtete Schulleiter Matthias Wolf, dessen Zeit dort im Sommer endet. Die Schule bietet christlichen und muslimischen Mädchen und Jungen einen geschützten Raum und eine sehr gute Ausbildung von der Kita bis zum Abitur. Zu den Zielen des Unterrichts gehöre, den Kindern verschiedener Konfessionen und Religionen Toleranz und Respekt zu vermitteln.

Friedensinitiativen in Israel und Palästina

In der folgenden Podiumsrunde  stellt ein Mann, der Theologe, Journalist und Autor Andreas Malessa, vier starke Frauen vor. Neben der Muslima Reem Alhajajra von der palästinensischen Friedensinitiative „Women of the Sun“ waren das die jüdische Friedensaktivistin Regula Alon und die palästinensische Christin und Israelin Hyam Tannous von der israelischen Friedensinitiative „Women wage Peace“.

Beide Initiativen setzen sich für Frieden in Israel und Palästina ein. Und machen dabei an den Grenzen ihrer Religionen nicht Halt: „Wir fragen nicht danach, welcher Religion jemand angehört, wir sind alle Mütter“, so Hyam Tannous.  „Und wir Mütter wollen nicht, dass unsere Kinder sterben, sondern leben.“ Unter den 130 000 Opfern des aktuellen Konflikts seien 70 Prozent Frauen, so Regular Alon.

Deshalb haben beide Friedensinitiativen im März 2022 die Kampagne „Mothers‘ Call“ ins Leben gerufen. Darin rufen sie palästinensische und israelische Frauen sowie Frauen der Welt auf, mit ihrer Unterschrift Schritte für ­eine Zukunft in Frieden, Sicherheit, Wohlstand und Freiheit zu unterstützen. Ihr Ziel ist es, 4 Millionen Unterschriften zu sammeln.  „Man darf sich nicht polarisieren lassen“, sagte Regular Alon. Und fügte hinzu: „Christen können Mediatoren sein zwischen Israelis unde Palästinensern.“

Hyam Taanous hielt eine Karte mit dem Aufruf in arabischer, ­hebräischer und deutscher Schrift hoch. ­Wenig später waren alle Karten vergriffen. In dem Aufruf heißt es weiter: „Wir fordern, dass unsere Staats- und Regierungschefs unserem Aufruf nachkommen und umgehend Friedensgespräche und -verhandlungen beginnen.“

Mit in der Runde war Pfarrerin Sally Azar. Sie ist die erste Frau, die im Januar 2023 in der ELCJHL ordiniert wurde und hatte am Vormittag die Predigt im Gottesdienst zum Jahresfest gehalten. Zudem leitet sie das palästinensische Weltgebetstagskomitee. Leider kam der in Deutschland herrschende Streit um die Liturgie nicht zur Sprache.

In der Pause stellten sich Initiativen vor, darunter EAPPI, das Begleitprogramm des Ökumenischen Rates der Kirchen in Palästina und Israel. Freiwillige begleiten Palästinenser*innen an Checkpoints, bei der Olivenernte oder beim Ziegenhüten. Sie dokumentieren, was sie beobachten, greifen aber nicht ein. Bis April kann man sich bewerben.