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Wie die Kirchen der AfD Grenzen setzen

Der Umgang mit der AfD beschert den Kirchen eine Gratwanderung: Sie wollen Haltung zeigen – und zugleich den sozialen Zusammenhalt in ihren Gemeinden sichern.

Wie umgehen mit der AfD? Der Verband der Familienunternehmer hat eine Debatte ausgelös
Wie umgehen mit der AfD? Der Verband der Familienunternehmer hat eine Debatte ausgelösImago / Müller-Stauffenberg

Wie sollen Kirchen heute verantwortungsvoll mit der AfD umgehen? Diese Frage bewegt viele Gemeinden und Kirchenleitungen – und sie wird zunehmend dringlich. Jüngst zeigte die Diskussion um den Wirtschaftsverband „Die Familienunternehmer“, wie sensibel das Thema geworden ist. Der Verband wollte AfD-Politiker zu einem parlamentarischen Abend einladen. Kirche, Zivilgesellschaft und Mitglieder des Verbandes warnten prompt vor einer falschen Normalisierung. Die Einladung wurde zurückgezogen. Ähnlich äußerte sich die katholische Reformbewegung „Wir sind Kirche“. Sie hält öffentliche Gesprächsformate mit der AfD für gefährlich, weil sie extreme Positionen salonfähig machen könnten.

Die kirchlichen Reaktionen stehen für eine Linie, die sich in den vergangenen Jahren verfestigt hat. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) erklärt, dass zentrale Positionen der AfD mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar seien. Die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) betonen ebenfalls klar, dass AfD-Programmatik grundlegenden Prinzipien der katholischen Soziallehre widerspricht.

Wie kann die Kirche der AfD Grenze setzen?
Wie kann die Kirche der AfD Grenze setzen?Imago / Steinach

Beide Kirchen begründen ihre Haltung damit, dass Rassismus, Antisemitismus und die Abwertung von Menschen im Widerspruch zur Botschaft Jesu stehen. Für sie geht es dabei nicht nur um politische, sondern auch um geistliche Verantwortung. Unterstützung für diese klare Linie kommt auch von Friedhelm Wachs, dem Vorsitzenden des Arbeitskreises Evangelischer Unternehmer, der ebenfalls vor einer Normalisierung der AfD warnt.

Ost- und Mitteldeutschland: Kirchenvorstände müssen sich gegen AfD erklären

Viele Landeskirchen formulieren inzwischen verbindliche Vorgaben. Sie wollen nicht nur mahnen, sondern handeln. So entsteht ein Bild davon, wie ein verantwortungsvoller Umgang mit politischem Extremismus konkret aussieht. In Ost- und Mitteldeutschland gelten besonders klare Regeln. Die Evangelische Kirche Mitteldeutschlands (EKM) verlangt von Kandidatinnen und Kandidaten für Gemeindekirchenräte eine Erklärung, dass sie keine Gruppen unterstützen, die vom Verfassungsschutz als extremistisch eingestuft sind. Das betrifft in der Praxis auch AfD-Funktionsträger. Kirchenämter bleiben ihnen verschlossen, solange sie sich nicht deutlich von solchen Positionen lösen. In Sachsen bindet ein erweitertes Gelöbnis Gemeindeleitungen an Werte wie Nächstenliebe und Gerechtigkeit. Verstöße können Gespräche oder den Ausschluss aus einem Amt nach sich ziehen. Die EKBO (Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz) formuliert offen: AfD-Mitgliedschaft und kirchliche Leitung passen nicht zusammen.

Diese Schritte zeigen: Die Kirchen wollen ihre Räume schützen und deutlich machen, dass christliche Gemeinschaft nicht mit menschenfeindlichen Haltungen vereinbar ist. Zugleich wissen sie, wie sensibel der Umgang mit politischen Überzeugungen sein kann – und wie rasch der Eindruck einer „Gesinnungsprüfung“ entsteht.

Kirche in Westfalen noch ohne klare Regeln

Auch westdeutsche Landeskirchen ziehen klare Grenzen. Lippe erklärt, dass völkisches Denken und christlicher Glaube sich widersprechen. Wer öffentlich für die AfD wirbt, kann dort keine leitende kirchliche Aufgabe übernehmen. In Westfalen läuft ein Klärungsprozess, der ähnliche Regeln festschreiben soll. Die Nordkirche fasst es grundsätzlich: Rechtsextreme und demokratiefeindliche Haltungen schließen kirchliche Mandate aus – unabhängig davon, in welcher Partei sie auftreten. Hinter all dem steht der Wunsch, Orientierung zu geben – klar, aber nicht spaltend. Die Kirchen wollen Grenzen ziehen, ohne Menschen aufzugeben.

In der katholischen Kirche zeigt sich ein ähnlicher Trend. Mehrere Bistümer und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken sprechen sich gegen AfD-Mitglieder in leitenden oder repräsentativen Aufgaben aus. Sie sehen darin einen Schutz der kirchlichen Glaubwürdigkeit. Reformgruppen warnen ebenfalls vor einer Zusammenarbeit. Auch hier wirkt der gleiche Gedanke: Die kirchliche Botschaft soll nicht mit politischen Haltungen vermischt werden, die Menschen abwerten oder spalten.

Kirchen: Geschwiegen zu Zeiten des Nationalsozialismus

Die christliche Überzeugung, dass jeder Mensch Gottes Geschöpf ist, lässt keinen Raum für Ausgrenzung oder Hass. Die Kirchen erinnern außerdem an die eigene Geschichte: an das Schweigen und Versagen im Nationalsozialismus und an die Verantwortung, die daraus gewachsen ist. Für viele Verantwortliche folgt daraus: Wenn Freiheit und Würde aller Menschen bedroht sind, darf die Kirche nicht neutral bleiben. Mit Rechtsextremismus lässt sich nicht kooperieren – man muss ihm Grenzen setzen.

Doch diese klare Linie schafft auch Spannungen. In vielen Gemeinden melden sich Menschen zu Wort, die sich missverstanden fühlen. Einige wählen die AfD aus Protest oder aus dem Gefühl heraus, nicht gehört zu werden. Sie empfinden kirchliche Stellungnahmen als Abwertung. Kirchenleitungen betonen jedoch: Dass die AfD demokratisch gewählt wird, hebt für sie die Verantwortung nicht auf, kirchliche Aufgaben an Haltungen zu binden, die mit dem christlichen Menschenbild vereinbar sind. Gleichzeitig sorgen sich andere, dass zu große Offenheit die Gemeinden anfällig macht für rechtsextreme Ideen.

Kontakt zu Menschen nicht verlieren

Hier liegt die eigentliche Herausforderung: Wie gelingt es, Menschen im Gespräch zu halten – und zugleich klare Grenzen zu wahren? Die meisten Kirchen versuchen deshalb einen doppelten Weg: Sie bleiben offen für Gespräche mit AfD-Wählerinnen und -Wählern. Hinter vielen Entscheidungen stehen biografische Brüche, Verunsicherung oder das Bedürfnis nach Orientierung. Zugleich verweigern sie Parteifunktionären und überzeugten AfD-Vertretern kirchliche Ämter und öffentliche Bühnen. So versuchen die Kirchen, ihre Werte zu schützen, ohne den Kontakt zu den Menschen zu verlieren.

Die Kirchen in Deutschland haben sich klar positioniert: Christliche Ethik und AfD-Programm stehen an entscheidenden Punkten gegeneinander. Doch die eigentliche Bewährungsprobe spielt sich vor Ort ab. Gemeinden müssen Wege finden, Abgrenzung und Zuwendung miteinander zu verbinden.

In dieser Aufgabe zeigt sich, wie ernst die Kirche ihre eigene Botschaft nimmt und wie sie zugleich Menschen begleitet, die politisch anders denken – und welchen Beitrag sie zum Schutz einer offenen, demokratischen Gesellschaft leisten will.