Wie Christen ihren Glauben im Internet leben

Schaukasten, Marktplatz, Gemeindebrief – all das bedeutet das Internet heute für Christen. Kirchen können vom Web profitieren, wie zum Beispiel eine Gemeinde an der Nordseeküste.

So sieht die Kirche in der Internetwelt von "Second Life" aus
So sieht die Kirche in der Internetwelt von "Second Life" ausFriedrich Stark / epd

Das wichtigste Medium einer Gemeinde sind ihre Mitglieder. Sie erzählen weiter, was im Gottesdienst abgekündigt wird, was für Veranstaltungen es gibt, was diskutiert wird. Weil immer mehr Gläubige über das Internet und Soziale Netzwerke kommunizieren, bemühen sich auch die Kirchen zunehmend um Aufmerksamkeit im Netz – so wie die Kirchengemeinde im schleswig-holsteinischen Heide. Für Inke Raabe, Öffentlichkeitsbeauftragte im Kirchenkreis Dithmarschen, ist das Wirken der Gemeinde auf Facebook ein Experiment. „Wir streuen unsere Informationen so breit, wie es geht“, sagt sie.
Raabe stellt fest: Die Heider Facebook-Seite erreicht mit Hinweisen auf Kinder-Aktionen und neue Gottesdienstformate eine neue Zielgruppe. Diejenigen, die öfter das Profil der Gemeinde besuchen, stammen meist aus Dithmarschen und „nehmen mit Interesse wahr, was bei uns los ist, machen uns Mut mit ihren Likes“, so Raabe. Sie nennt die Interessierten die „Facebook-Gemeinde“.
So scheinen zwei Gruppen zur Gemeinde zu gehören: diejenigen, die Facebook besuchen – und diejenigen, die regelmäßig Sonntag in den Bänken sitzen. Letztere nutzen die Gemeindehomepage www.kirche-heide.de, um Informationen wie Gottesdienstpläne oder Adressen zu finden, die Website übernimmt die Funktion von Gemeindebrief oder Schaukasten.„Die Facebook-Seite hingegen ist wie ein Marktplatz“, sagt Raabe. Hier wird nicht nur gelesen, sondern auch geschrieben. Kommentarfunktionen lassen Rückfragen und Diskussionen zu.

Gottes Platz im Web

„Wer ständig online ist, ist offline für Gott“, sagte der Barmberger Erzbischof Ludwig Schick in der Passionszeit 2016. Viele Christen sehen das wohl anders. Denn für sie hat Gott einen Platz im weltweiten Datennetz. 2014 widmete die Evangelische Kirche in Deutschland eine ganze Themensynode der „Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft“. Das Internet erweitere die Chancen zur Vermittlung des Evangeliums und eröffne der Kirche „neue Räume zum Hören, Erzählen und Lernen“, hieß es in einer Erklärung, die dabei verabschiedet wurde.
Die Protestanten haben mit Heinrich Bedford-Strohm einen Internet-affinen Landesbischof als Ratsvorsitzenden. Dessen Facebook-Profil wird von vielen besucht. Er stellt Predigten, Reisenotizen, aber auch Statements zu kirchenpolitischen Entwicklungen online. Andere Nutzer schreiben direkt an Bedford-Strohm, sie reagieren und diskutieren. Der Landesbischof und mit ihm die Kirchen Deutschlands zeigen: Wir sind ansprechbar – und lassen uns auf Fragen oder Kritik ein.

Bibelsprüche und Gebete bei Twitter

Das Internet ist Schaukasten und Diskussionsforum für die Christen in Deutschland. Für einige ist es zugleich ein Ort ihrer gelebten Frömmigkeit. Sie twittern Gebete, teilen Bibelsprüche über Facebook oder trauern online um Verstorbene, indem sie ihre letzten Wünsche auf Gedenkseiten wie www.infrieden.de in der Unendlichkeit des Datennetzes hinterlassen. Die Virtualität gehört in den Alltag, sie ist ganz konkret.
Alltag in der Virtualität gibt es in der Funcity. Diese Plattform entstand 1996, um Werbung im Internet anders zu zeigen – eben als Teil einer Stadt. Die Farben sind grell, die Grafiken einfach.
In der Funcity gibt es eine Post, in der Online-Grüße verschickt werden, ein Museum, Rathaus, Café, Fußball-Stadion, eine Straßenbahn, Börse – alles, was eine Stadt hat. Auch Menschen leben hier: die angemeldeten „Benutzer“ der Funcity. Sie sind anonym und verbergen sich hinter Spitznamen. Ihre Fotos und Steckbriefe sind mit einem Klick auf die gemalten Türen in sogenannten Straßenzügen zu erkennen. Kommuniziert wird durch Nachrichten – für alle sichtbar.

Die Kirche in der Funcity

Diese anonymen Bewohner forderten 1997 eine Kirche für ihre Spaßstadt – so entstand die St. Bonifatiuskirche. „Die Weihe der Internetkirche fand live im Radio statt, durchgeführt vom damaligen Seelsorger. Er sprach wohl ein Gebet, und dann ging der Chat auf und damit die Kirche los“, sagt Norbert Lübke. Der Diplom-Pädagoge kam aus der kirchlichen Jugendarbeit zur Funcity, heute ist er als Beauftragter für die Internetseelsorge des Bistums Hildesheim Koordinator der Funcity und Referent in der Akademie der Diözese Hildesheim.
„1998 geweiht vom Hildesheimer Weihbischof Hans-Georg Koitz“ steht über dem Bild des Internet-Gotteshauses. Links neben dem Kirchraum führt eine Tür ins Pfarrhaus, rechts in ein Kloster. Das gibt es seit 2008 – die Online-Kirche schreibt Kirchengeschichte. Jeder weitere Mausklick führt in das programmierte Angebot. „Fürbitten“ steht an der virtuellen Mauer. Dort wird gebetet. „Herr, schenke ihnen hilfsbereite Freunde und Verwandte, die ihnen tatkräftig helfen und Trost spenden, und gewähre ihnen unbürokratische Hilfe durch die Behörden. Amen“, hat dort jemand, für alle lesbar, Anfang Juni für die Hochwasseropfer in Süddeutschland geschrieben.
Beten, Kerzen anzünden, Lieder hören, Bilder betrachten – alles, was Kirchräume bieten, geschieht auch online. Es gibt eine wöchentliche Online-Gesprächsrunde, einmal im Monat wird ein klösterliches Abendgebet, die Komplet, angeboten. Rund 20 Personen nehmen durchschnittlich an den Veranstaltungen teil.

Kein Geruch von altem Holz

Was fehlt in der programmierten Online-Kirche, ist der Geruch von Wachs oder altem Holz. Kein User fühlt die Kühle des Gemäuers oder hört den Nachhall der eigenen Schritte. Doch es gibt Menschen, echte Menschen, die in der Online-Kirche arbeiten, aber auch außerhalb des Internets Seelsorger sind. Ordensschwestern, Pastoral- und Gemeindereferenten, Diakone, ein Pfarrer. Ihre Bilder sind zu sehen, sie schreiben Texte über sich, E-Mail Adressen laden zur Kontaktaufnahme ein.
18 Mitarbeiter hat die virtuelle St. Bonifatiuskirche, hinter dem Angebot stehen die Bistümer Hildesheim und Osnabrück. Das Internet fragt nicht nach Kirchenmitgliedschaft oder Herkunft. „Die Funcity-Kirche war von Anfang an ein katholisches Projekt mit evangelisch-ökumenischer Offenheit“, betont Norbert Lübke. Auch protestantische Mitarbeiter habe es früher gegeben.
„Seid ihr denn echt?“, hört das Team immer wieder, so auch Pfarrer Tobias Kotte. Er ist nicht nur in der Online-Kirche, sondern auch in einem Dorf 15 Kilometer entfernt von Osnabrück tätig. Dort begegnete ihm wieder unbekannten Menschen, erzählt Kotte. Die warteten dann im hinteren Bereich der Kirche und sprächen ihn am Schluss der Messe an. Die unbekannten Kirchenbesucher kennen Kotte aus der Funcity-Kirche – und möchten ihm nun persönlich begegnen.

Wenn die virtelle Welt real wird

Die Gläubigen der Funcity-Kirche seien „zwischen 20 und 40, weiblich, eher gebildet und aus Norddeutschland“, so Lübke. Einige kämen sogar aus Spanien, Brasilien und den USA. Lübke betont: „Die Angebote werden nach wie vor gut angenommen.“ Denn neben den Chats verschickt das Kirchenteam regelmäßig Gemeindebriefe oder geistliche Impulse. Im Verteiler dafür stünden rund 2500 Adressaten.
Gibt es nun eine Funcity-Kirchengemeinde? Lübke zögert. „Die Leute kennen sich, teils real, teils über ihren Spitznamen. Es gab sogar schon zwei Treffen, die haben die Kirchenchatter selbst organisiert.“ Da traf dann der Schweizer auf die Rostockerin. Und die Online-Gemeinde begegnete sich ohne Strom und WLAN.
Strom und WLAN scheint der neue Stoff zu sein, der Christen zusammenführt. Vielleicht ist es aber auch der Heilige Geist, der die Generationen in Deutschland – und damit die Kirchengemeinden – kräftig durchpustet.