Wenn Populismus populär wird

Im Rahmen der „Woche der Brüderlichkeit“ in Recklinghausen sprechen Vertreter von Christentum und Judentum über das Erstarken rechtsnationaler Positionen

RECKLINGHAUSEN – Die Problematik des in Europa und Deutschland um sich greifenden Rechtspopulismus war Thema einer zentralen Veranstaltung zur „Woche der Brüderlichkeit“ in Recklinghausen.
In seiner Eröffnung äußerte sich Bischof Ulrich Neymeyr vom katholischen Bistum Erfurt besorgt über eine zunehmend aggressive Rhetorik in der politischen Auseinandersetzung, die er als „Beschädigung der Gemeinschaft“ bezeichnete. Auch Rabbiner Jonah Sievers (Berlin) schloss sich diesen Bedenken an: „Unsere Zivilgesellschaft ist in einem verbesserungswürdigen Zustand.“ Vor allem das Nichtanerkennen der Ängste in der Bevölkerung, die „Verneinung der Realität“ habe den Boden für das Wiederaufleben des Antisemitismus bereitet. Landrat Cay Süberkrüb nannte die kürzlichen Angriffe auf Moscheen in verschiedenen Städten Deutschland „unverzeihlich“.
In seinem Vortrag unter dem Titel „Angst um Identität. Rechtspopulismus in einer verängstigten Gesellschaft“ entfaltete der Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, Ralf Meister, den Begriff des Volkes anhand seines Verständnisses der Volkskirche. Diese sei in ihrem Selbstverständnis „Kirche für das Volk“: Jeder könne sich auf diese Kirche berufen, „auch die, die nicht diesen Glauben teilen“, sagte Meister. Denn diese Kirche sei eine, die sich zu Gottes Barmherzigkeit bekenne, die allen Menschen gelte.
Mit Rückblick auf die deutsche Geschichte bezeichnete Meister  den Begriff des „Volkes“ als „vergiftet“. Dem gegenüber „galt die Idee der Nation auch für Fremde“, also der „Einheit in Vielfalt“.
Meister warnte eindringlich vor der hohen „Affinität von Populismus und Fremdenfeindlichkeit“, die in gefährlicher Weise „nicht Austausch, sondern Trennung und Abwehr“ produziere. In unserer Gesellschaft nehme der Druck auf den Einzelnen zu, wodurch sich ein verstärktes Konkurrenzempfinden einstelle. Diejenigen, die sich von der Politik nicht mehr verstanden fühlten, hätten sich von ihr entfremdet.  
Zivilcourage und Widerspruch seien gefragt, wo „Grenzen überschritten werden“, sagte der hannoversche Landesbischof weiter. Es helfe keinem, „allein mit moralischer Entrüstung auf rechtspopulistische Tendenzen“ zu reagieren. Stattdessen käme es auf Dialogfähigkeit und darauf an, sich für demokratische Werte einzusetzen.
Rabbiner Avraham Yitzchak Radbil (Osnabrück) bezeichnete in seinem Vortrag mit dem Titel „Rechtspopulismus damals und heute“ den Pharao der Moses-Geschichte als „ersten Rechtspopulist“, der die Juden zum Sündenbock erklärt habe, um  sein eigenes Volk von Problemen abzulenken. Die Thora mache sich demgegenüber für Fremdenliebe stark, die nicht leichter zu erfüllen sei als Nächstenliebe, so Radbil. Die Zuwächse auf 1468 Straftaten mit antisemitischem Hintergrund im Jahr 2016 seien bedenklich. Oftmals verstecke sich Antisemitismus hinter einer Kritik an Israel.
Radbil macht sich ebenso wie Meister stark für eine „Einheit in Vielfalt“. Abschließend warnte er: „Nur wenn wir nicht aus der Geschichte lernen, hat sie die Angewohnheit, sich zu wiederholen.“