Geschäftsmodell Nächstenliebe: Wenn Influencer Almosen verteilen

Immer häufiger nutzen Influencer auf Instagram, TikTok und Co. ihre Reichweite für vermeintlich selbstlose Sammelaktionen. Zumindest aus ethischer Perspektive ist das nicht ganz unproblematisch.

Das Marketing mit Menschen hat die Medienlandschaft nachhaltig verändert
Das Marketing mit Menschen hat die Medienlandschaft nachhaltig verändertImago / PhotoAlto

Keine neue Erfindung, aber auf Instagram, TikTok und Co. trotzdem Trend: Spenden sammeln für Menschen in Not. Es sind vor allem Obdachlose und Rentner, mit denen momentan Spenden-Content produziert wird. Wer in den Sozialen Medien danach sucht, findet schnell Videos von Influencern, die fremden Menschen Geld oder Dienstleistungen schenken – einfach so. Ohne Gegenleistung? Ja, aber nicht ohne Zweck. Denn diese Videos werden gut geklickt, bringen entsprechende Werbeeinnahmen und steigern die Reichweite des Kanals.

Aus ethischer Perspektive sei diese Entwicklung höchst fragwürdig, sagt Oliver Zöllner, Professor für Medienforschung und digitale Ethik an der Stuttgarter Hochschule der Medien. „So sieht keine karitative Hilfe aus. Bei solchen Clips geht es weniger um die geleistete Unterstützung als um den eigenen Nutzen“, sagt Zöllner. Er befasst sich schon lange intensiv mit ethischen Standards in den Sozialen Medien und kritisiert unangemessenes Verhalten in der Cyberwelt. So posteten viele Eltern beispielsweise Bilder ihrer Kinder, ohne sich der langfristigen Konsequenzen bewusst zu sein.

Spenden-Clips: Ethische und rechtliche Bedenken

Es sei oft ein schmaler Grat zwischen Werbung für einen guten Zweck und reiner Eigenwerbung, erklärt der Medienwissenschaftler. Insofern seien die Spenden-Clips auch nicht grundsätzlich zu verurteilen.

„Wenn reichweitenstarke Meinungsmacher ihre Bekanntheit dafür nutzen, gesellschaftlich zu unterstützen, ist das prinzipiell eine gute Sache“, sagt Branchenkenner Sven Wedig. Der 45-Jährige ist Gründer einer der letzten unabhängigen und eigentümergeführten Social-Media-Agenturen; als Speaker ist er auf diversen Medienkongressen im deutschsprachigen Raum gefragt.

Wedig betont: „Das Marketing mit Menschen hat die Medienlandschaft nachhaltig verändert.“ Soziale Medien hätten eine Welt eröffnet, in der Unternehmen auf Augenhöhe mit den Kundinnen und Kunden kommunizieren könnten. Das bringe viele Vorteile mit sich, aber vor allen Dingen auch eine Menge Verantwortung.

Ob es Sinn ergebe, in Videos diejenigen zu zeigen, für die beispielsweise zu Spenden aufgerufen werde – das müsse allerdings jeder für sich entscheiden. „Glücklicherweise wurde mir so eine Story im Rahmen meiner Feeds noch nicht angezeigt“, erklärt Wedig.

Nur selbstloses Engagement?

Neben den ethischen gebe es insbesondere bei Spenden-Clips auch rechtliche Bedenken, stellt Medienwissenschaftler Zöllner fest: „Wenn die dargestellten Personen nicht wissen, dass sie gefilmt werden beziehungsweise wofür die Aufnahmen verwendet werden, ist das eine grobe Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte.“

 

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Zudem stelle sich im Zusammenhang mit Spenden stets die Frage der Seriosität. Wer wirklich selbstlos unterwegs sei, arbeite bevorzugt mit großen Organisationen zusammen, die die Spendengelder professionell zu verteilen wüssten, sagt Zöllner. Dann könnten Spenderinnen und Spender darauf vertrauen, dass das Geld wirklich bei den Bedürftigen ankommt.

Internationale Schlagzeilen machte in dieser Frage jüngst die italienische Influencerin Chiara Ferragni. Ihr wird vorgeworfen, via Instagram gesammelte Spendengelder für krebskranke Kinder teilweise in die eigene Tasche gesteckt zu haben. Dem gleichen Verdacht sieht sich ihr deutscher Kollege Jaluce ausgesetzt. Er hatte Obdachlose gefilmt und auf seinen Kanälen Spenden für sie gesammelt – jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft.