Wenn der Krieg dir die Heimat nimmt, aber nicht das Theater
“Wir können über den Krieg sprechen, also sprechen wir drüber”, sagt Regisseurin Maryna Liushyna. Und das tut sie ungefiltert in dem Theaterstück “Der geschlossene Himmel” – voll Wut und Ohnmacht. Und doch mit Hoffnung.
Zum Einstieg gibt es eine Vorwarnung: “Wenn es Ihnen zu viel wird, können Sie den Raum natürlich verlassen.” Dann beginnt das Theaterstück “Der geschlossene Himmel” auf der Bühne der Bonner “Brotfabrik”. Sirenenheulen erfüllt den Saal. Dann rotes Licht. Bilder erscheinen an der Wand von zerschossenen Gebäuden, einer weinenden Frau, Vätern mit blutenden Kindern im Arm. Bilder und Geschichten, die die vier Hauptdarstellerinnen aus ihrer ukrainischen Heimat nur zu gut kennen – und im Theater mit dem Rest der Welt teilen möchten.
“Wir wurden jeden Tag bombardiert. Dreimal, viermal. Dann war unsere Stadt einen Monat besetzt. Fliehen konnten wir in der Zeit nicht”, berichtet die Regisseurin des Stücks, Maryna Liushyna. Ihre Heimatstadt Sumy an der nordöstlichen Grenze der Ukraine war einer der ersten Orte, der die russische Invasion zu spüren bekam.
Schon in Sumy war die 41-Jährige am Theater tätig. Am Vorabend des Angriffs bereitete sie dort gerade einen Kurs für Kinder vor, stellte Tische auf, dekorierte. “Am nächsten Morgen, am 24. Februar, wurde meine Stadt beschossen.” Der Kurs fand nicht statt. Ihr Theater hat sie seither nicht mehr betreten.
Nach einem Monat russischer Besatzung gelang es Liushyna und ihren beiden Kindern zu fliehen. Ihr Sohn war damals neun Monate alt, die Tochter 14 Jahre. Ihr Mann blieb in der Ukraine. Was sie neben ihren Kindern von zuhause mitnimmt, sind die bitteren Erfahrungen aus einem vom Krieg gezeichneten Land.
Um diese mit der Welt zu teilen, hat eine Freundin von Liushyna, Neda Nezhdana, das Stück geschrieben, das Mitte September auf der Bühne in Bonn aufgeführt wurde. Es erzählt die Geschichte der ersten Kriegstage. Geschichten von vier Frauen, die versuchen zu fliehen und zu verstehen, warum dieser Krieg in ihr Land kam.
Wer am Abend die Vorstellung besucht, der versteht schnell den warnenden Hinweis zu Beginn. Die vier Frauen, die den Figuren aus dem Drehbuch ein Gesicht geben, haben den Krieg erlebt. Die Tränen auf der Bühne sind nicht bloße Schauspielerei. Sie sind echt. Ein Einblick in das, was die Menschen der Ukraine durchmachen. Untermalt von düsteren Bildern und grellen Lichteffekten stehen die Frauen auf der Bühne und schreien ihr Kriegstrauma in den Publikumsraum. Die Zuschauer schweigen. Manche weinen. Andere halten es tatsächlich nicht aus und verlassen den Raum.
Das Leid, das allzu authentisch auf der Bühne gezeigt wird, ist schwer zu ertragen. Aber ist es nicht noch schwerer, es darzustellen? “Es ist schmerzhaft. Aber das Theater ist auch wie eine Therapie”, sagt Liushyna. Außerdem sei es wichtig, den Menschen den Krieg zu zeigen. Die dargestellten Szenen könnten genau so passieren. Oder seien irgendwo in der Ukraine sicher ähnlich passiert. Die vier Frauen wollen diesen Geschichten auf der Bühne Gefühle einhauchen, die sie selbst schon empfinden mussten.
Auch künftig möchte Liushyna in Deutschland diese Art von Theater machen: “Jeder tut, was er kann. Wir können über den Krieg sprechen, also sprechen wir drüber. Wir können ein Theater machen, also machen wir ein Theater. Ich glaube, es ist einfacher, den Leuten den Krieg durch Theater und Musik näherzubringen.”
Doch auch wenn das Stück eine wichtige Botschaft nach Deutschland bringe, sie gerade Deutsch lerne und nach einem Job an einer deutschen Spielstätte suche, gingen ihre Gedanken und Hoffnungen für die Zukunft immer wieder zurück in die Heimat. “Ich erinnere mich gerne an meine Familie. Ans Reisen in der Ukraine. Ans Meer, auf die Krim, in die Karpaten”, sagt sie. “Ich hoffe, wenn der Krieg zu Ende ist, kann ich mit meinen Kindern zurückkehren. Ich möchte dort weiter Theater machen, mit Kindern arbeiten. Und vielleicht ein Rehabilitations-Center für Soldaten aufbauen.”
Bis es so weit ist, erzählt sie Geschichten. Denn auch wenn bei der Probe mal geweint wird, werben Liushyna und ihre Kolleginnen für etwas Größeres. Für Frieden. Und für die Hoffnung. “Wir hoffen sehr, dass Sie so etwas nur im Theater sehen und nicht selbst erleben müssen. Wir hoffen, dass Sie trotzdem weiter darüber reden und dass wir nie alleine kämpfen werden. Danke, dass Sie da waren”, sind die letzten Worte ans Publikum.