Was verbirgt sich hinter den Zahlen?

Der Jesuitenpater Mark Cachi berichtet aus Malta. Von Bruder Mark Cachi

Von Mark Cachia

Die Insel Malta hat vor Kurzem große Aufmerksamkeit in der Presse gefunden. Ein Boot mit Syrern und Palästinensern, die Asyl suchten, sank zwischen Libyen und Italien. Mehr als hundertundfünfzig Überlebende wurden nach Malta gebracht, andere fünfzig nach Lampedusa (Italien). Noch immer ist die Zahl der Menschen unbekannt, die ihr Leben lassen mussten, aber es dürften an die hundert sein. Es gibt nicht wenige unter den Überlebenden, die auf dieser katastrophalen Überfahrt einen geliebten Menschen verloren haben.

In Malta hat diese Tragödie riesigen Ausmaßes die Debatte über Einwanderung neu entfacht, die immer schon unter der Oberfläche vor sich hin köchelte. In dieser Ausnahmesituation war die allgemeine Stimmung und Sympathie an der Seite der Menschen, die alles gewagt und fast alles verloren haben bei ihrem Versuch, die sicheren Küsten Europas zu erreichen. Das kann man sonst nicht von den Maltesern sagen, die auf die Ankunft von Migranten aus Afrika, zumal aus den Ländern südlich der Sahara eher ablehnend reagieren.

Das sind einige der häufigsten Vorurteile, die man von den Leuten auf der Straße, aber auch von Politikern hören kann, wenn es um Einwanderung geht:

– „Malta ist zu klein, um diese Menschen hier willkommen zu heißen.“

-„Wir werden überrannt. Deren Kultur und Religion sind grundverschieden von uns“.

-„Sie wollen uns unsere Arbeit wegnehmen. Sie sind gefährliche Leute“

-„Sie stellen eine Gefahr für die allgemeine Gesundheit dar.“

Bedauerlicher Weise führt die offizielle Einwanderungspolitik, selbst wenn sie erfolgreich ist, nicht dazu, diese Ängste zu zerstreuen. Zum Beispiel nach der Ankunft: Alle Einwanderer werden in Auffanglager gebracht, wo sie – abhängig vom Erfolg ihres Asylantrags oder eines anderen Aufenthaltsersuchens – bis zu 18 Monaten bleiben müssen. Zu medizinischen Untersuchungen werden sie in Handschellen vorgeführt. Politiker sprechen beharrlich von illegalen Einwanderern, besonders bei lautstarker Kritik, und setzen damit Asylsuche mit gesetzwidrigem Verhalten gleich. Ist von der Politik der EU die Rede, dann halten sie ein System der Lastenteilung für dringend erforderlich – und lassen so erkennen, dass Einwanderer nur eine Last für die Gesellschaft sind.

Hier ist gewiss nicht der Ort, um all die oben genannten Vorurteile zu widerlegen. Aber ein paar Klarstellungen muss es geben:

Nach UNHCR Informationen sind auf Malta zwischen 2002 und 2012 mehr als 17.000 Bootsflüchtlinge angekommen. Von ihnen – so schätzt man – sind etwa 30% auf Malta geblieben. Diese Schätzung liegt unter den Ergebnissen der Volkszählung von 2011. Danach wären genau 2.676 Afrikaner auf Malta geblieben, was 13% aller in Malta lebenden Ausländer und lediglich 0,6% der Gesamtbevölkerung ausmacht.

Die große Mehrheit derer, die Malta als Bootsflüchtlinge erreichen, sind keine „Wirtschaftsflüchtlinge“. Sie sind Menschen, die Schutz suchen. Tatsächlich stellen fast alle, die Malta mit Booten erreichen, Asylanträge. 80% von Ihnen erhalten irgendeine Form von Schutz und Duldung. Die meisten von ihnen kommen aus Somalia – einem zerbrechenden Staat, in dem Gewalt allgegenwärtig ist – und aus Eritrea, einem Land, das unter einer brutalen Diktatur leidet.

Unglücklicherweise ist der Tod Ertrinkender auf hoher See keine Neuigkeit. Die Medien berichten zwar mit besonderem Aufwand über die jüngste Tragödie. Aber seit 1988 haben wohl 20.000 Menschen ihr Leben verloren, als sie versuchten, Europa zu erreichen.

Das sind nur ein paar Zahlen und statistische Daten, die in die Diskussion um Einwanderung nach Malta eine Perspektive bringen könnten. Ich bin natürlich der festen Überzeugung, dass Zahlen und Statistiken niemals das letzte Wort haben können. Denn hinter den Zahlen stehen Personen, jede und jeder Mensch hat eine eigene Geschichte, ein eigenes Leben, Familie und Würde.

Die Zahlen, die hier aufgeführt wurden, können einige der grundlosen Ängste widerlegen, die die maltesische Bevölkerung überkommen, wenn es um Einwanderung geht. Ich bin fest davon überzeugt: Der beste Weg zur Überwindung von Vorurteilen und Feindseligkeit ist, diesen Menschen zu begegnen und sie willkommen zu heißen. Wenn wir ihnen zuhören, wenn sie von ihrem Leben erzählen, wenn wir ihre Hoffnungen und Ängste wahrnehmen, dann nehmen wir unsere menschliche Verantwortung an und verwirklichen gemeinsam etwas viel Stärkeres als alles, was uns trennt und unterschiedlich bleiben wird. In ihren Niederlagen erkennen wir unsere Verluste und Nöte. In ihren Hoffnungen und Erwartungen erkennen wir auch, wovon wir träumen. Zahlen oder Statistiken – egal wie herum man sie wendet und deutet – können niemals größeres Gewicht haben als das Wissen um die allen Menschen eigene Würde ohne Ansehen ihrer Rasse, Hautfarbe, ihrer Nationalität oder ihres Aufenthaltsstatus.

Wir alle sind Schwestern und Brüder. Jede Diskussion über Einwanderung, ob in Malta oder sonst wo, die diese Grundsätze fallen lässt, versteckt Personen hinter Zahlen. Aber hinter solchen Zahlen und Fakten stehen immer Menschen, und so wird es bleiben.