Was MV aus der Missbrauchsstudie lernen will

Wie können Menschen innerhalb der evangelischen Kirche vor Gewalt geschützt werden? Durch Schutzkonzepte. Präventionsstellen in MV helfen den Kirchengemeinden bei der Entwicklung.

Sich frei und sicher bewegen – auch im Kirchenraum: Schutzkonzepte helfen, dies zu gewährleisten.
Sich frei und sicher bewegen – auch im Kirchenraum: Schutzkonzepte helfen, dies zu gewährleisten.rawpixel

Mindestens 1259 Beschuldigte, darunter 511 Pfarrpersonen, und mindestens 2225 Betroffene attestiert die Forum-Studie der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Diakonie. „Wir müssen das wahrnehmen und können nur versuchen, daraus zu lernen“, sagt Martin Fritz von der Fachstelle Prävention im Kirchenkreis Mecklenburg.

„Haben wir schon alles getan?“

Das Erscheinen der Studie hat in den Kirchengemeinden Mecklenburgs und Pommerns Fragen ausgelöst: Haben wir schon alles zum Schutz der uns anvertrauten Menschen unternommen? Gibt es blinde Flecken? Wie können wir gut dafür sorgen, dass hier keine Grenzüberschreitungen oder sogar Gewalt passiert? Eltern sollen auch weiterhin vertrauensvoll ihre Kinder in die Obhut der kirchlichen Mitarbeitenden geben können. Was braucht es, um guten Gewissens sagen zu können: „Ja, unsere Kirche ist ein sicherer Raum!“?

Martin Fritz, Präventionsstelle Mecklenburg
Martin Fritz, Präventionsstelle MecklenburgNordkirche

„Wir sind uns dieser Verantwortung seit langem bewusst“, sagt Martin Fritz: „Seit sechs Jahren entwickeln wir mit den Kirchengemeinden Schutzkonzepte, die schon im Vorfeld Übergriffe jeglicher Art verhindern sollen: Und da haben wir schon viele ins Boot geholt.“

Kirchengemeinden wollen nun Schutzkonzepte

In Zahlen: Von den über 200 Kirchengemeinden in Mecklenburg haben über 70 ein abgeschlossenes Schutzkonzept, über 60 sind im Entwicklungsprozess. Es gibt jedoch auch Kirchengemeinden, die noch zögerlich sind. Im Kirchenkreis Pommern ist die Präventionsstelle nach langer Vakanz seit Oktober mit einer halben Stelle besetzt: „Das Telefon klingelt derzeit andauernd: Das Interesse der Kirchengemeinden an der Entwicklung eines Schutzkonzeptes ist groß“, sagt die Präventionsbeauftragte Pastorin Beatrix Kempe. Vorkehrungen treffen? Schutzkonzept? Was genau bedeutet das im Gemeindealltag? „Das ist ein ganzer Strauß voller Maßnahmen“, sagt Martin Fritz: „Wir erarbeiten die genauen Details mit jeder Gemeinde in einem langen und sehr individuellen Prozess.“

Am Anfang steht dabei die Sensibilisierung der Menschen, die an der Entwicklung beteiligt sind. Ihren Blick dafür zu schärfen, kritische Dinge auch als solche zu erkennen. Verletzt da jemand das Verhältnis von Nähe und Distanz? Gab es in der Vergangenheit grenzverletzendes Verhalten? Eine verpflichtende Basisfortbildung für alle beruflichen Mitarbeitenden bietet die Präventionsstelle dazu an: „550 Personen haben wir da seit 2017 geschult“, sagt Fritz. 220 davon Pastorinnen und Pastoren. Daneben werden noch viele Ehrenamtliche, besonders junge Menschen in den Teamer- und Teamerinnenschulungen erreicht.

Vertrauen auf beiden Seiten schaffen

Ein Schutzkonzept beinhaltet verschiedene Punkte. Obacht bei der Personalauswahl zum Beispiel: Nicht nur um Qualifikationen geht es, sondern um Einstellungen zum menschlichen Zusammensein. Selbstverpflichtungen zu verbindlichen Verhaltensregeln müssen abgeschlossen und unterschrieben werden, die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses ist Bedingung. „Das gibt ja auch beiden Seiten Sicherheit und schafft Vertrauen – und wenn solche Regeln für alle gelten, braucht sich niemand kriminalisiert zu fühlen.“

Auch Beschwerdewege werden festgelegt: Es muss auch für Außenstehende leicht möglich sein, zu eruieren, an welche Ansprechperson sich Betroffene mit ihren Nöten wenden können. „Dies darf eben nicht automatisch der Pastor oder die Pastorin sein, die ja möglicherweise sogar Ursache der Beschwerde sein könnten.“

Kirche soll Kompetenzort sein

Doch Martin Fritz will mehr als „nur“, dass der kirchliche Raum nicht als Gefahr wahrgenommen wird. „Er soll, im Gegenteil, Anlaufpunkt für vielfältige Lebenssituationen als Kompetenzort sein: Hierhin wende ich mich als Mutter oder Vater, wenn ich entdecke, mein Kind ist zum Beispiel im Internet digitaler Gewalt ausgesetzt.“

Ein Netzwerk an Hilfs- und Beratungsstellen könnte dann von den Ansprechpersonen der Gemeinde für Hilfesuchende vermittelt werden, so der Wunsch. „Wir sind da auf einem guten Weg“, sagt Fritz. Doch wie immer: Vom Mitmachen lebt alle Veränderung. „Ziel ist es, viele mitzunehmen und die Sensibilität breit zu streuen.“