Vor vollendete Tatsachen gestellt

Am 19. Januar ist es ein Jahr her, dass das Erzbistum Hamburg bekannt gab, bis zu acht seiner katholischen Schulen zu schließen. Die Proteste sind inzwischen abgeklungen, doch das Thema ist noch lange nicht vom Tisch.

Tausende demonstrierten gegen die Schließung der Schulen (Archivbild)
Tausende demonstrierten gegen die Schließung der Schulen (Archivbild)Julia Fischer

Hamburg. Ein Krisenjahr liegt hinter der katholischen Kirche in Hamburg: Mit seiner aus Finanznot getroffenen Entscheidung, bis zu 8 der 21 katholischen Schulen in der Hansestadt zu schließen, löste das Erzbistum einen mehrere Monate anhaltenden Proteststurm aus. Noch im Mai 2018 hätte Erzbischof Stefan Heße die vorangegangenen Monate am liebsten aus seinem Kalender gestrichen, wie er in einem Interview erzählte. Inzwischen sieht er die Ereignisse etwas gelassener.
Es war der 19. Januar 2018, als Generalvikar Ansgar Thim der Presse die Schulschließungen ankündigte. Die betroffenen Eltern und Schüler wurden trotz gegenteiliger Versprechungen nicht in die Entscheidung einbezogen, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt. Der Einschnitt sei zwingend notwendig, um dem Erzbistum und damit auch dem katholischen Schulsystem dauerhaft eine Zukunft zu ermöglichen, sagte Thim und verwies auf eine Überschuldung der Diözese in Höhe von 79 Millionen Euro. Drei der acht Schulen könnten noch gerettet werden, wenn sich externe Sponsoren fänden. An den anderen fünf Schulen wurden schon im vergangenen Jahr keine neuen Schüler mehr aufgenommen; der Schulbetrieb läuft nach und nach aus.

Gravierender Einschnitt

Für Hamburgs etwa 180 000 Katholiken ist diese Entscheidung ein gravierender Einschnitt: Das Nordbistum, das Hamburg, Schleswig-Holstein und den Landesteil Mecklenburg umfasst, unterhält bisher 18 Grund- und Stadtteilschulen sowie 3 Gymnasien mit insgesamt knapp 8500 Schülern. Es ist größter privater Schulträger der Hansestadt. Die Proteste ließen nicht lange auf sich warten: Die Gruppe „Rettet 21“ traf sich wöchentlich zur Mahnwache vor dem Mariendom. Eltern und Schüler organisierten zwei große Kundgebungen mit Tausenden von Teilnehmern in der Hamburger Innenstadt. Gemeindemitglieder schrieben einen Brief an den Papst und wurden im Vatikan empfangen.
Schließlich machte eine Initiative einflussreicher Katholiken am 2. Februar den Vorschlag, eine Genossenschaft zum Erhalt der katholischen Schulen zu gründen. Doch die Gespräche mit dem Erzbistum verliefen zäh. Immer wieder drangen vertrauliche Informationen nach außen und sorgten für Streit. Als eine Einigung fast schon in Sichtweite schien, entschieden sich sechs Bistumsgremien gegen eine Kooperation mit der Initiative. Anfang Juli brach Erzbischof Heße die Gespräche offiziell ab.
Die nächste Schreckensnachricht folgte im November: Die Grund- und Stadtteilschule in Neugraben, eine der drei Moratoriumsschulen, könne nicht gerettet werden, teilte das Erzbistum mit. Damit werden nach heutigem Stand sechs Schulen geschlossen. Nur für die Sophiengrundschule sowie für die Grund- und Stadtteilschule Harburg wird weiter nach Sponsoren gesucht. Eine Entscheidung soll bis Ende 2020 fallen.

Vertrauen verloren

Auch wenn sich die Proteste inzwischen gelegt haben, hat Deutschlands nördlichste Diözese mit der Entscheidung viel Vertrauen verloren. An den betroffenen Schulen ist die Stimmung nach wie vor gedrückt. Viele Eltern sind noch immer fassungslos. Auch Mitglieder der katholischen Gemeinden können nicht nachvollziehen, warum die Kirche ausgerechnet bei den Schulen spart.
Heße hält an der Entscheidung fest, hat aber inzwischen Fehler bei der Kommunikation eingeräumt. Er trifft sich regelmäßig mit Eltern, Lehrern und Schülern. Daneben verfolgt er die Bemühungen um den Erhalt der Sophienschule. Die Grundschule soll sogar zu einer Grund- und Stadtteilschule ausgebaut werden. Mit dem zuständigen Bezirksamt laufen Gespräche. Dagegen zeichnet sich für die Schule in Harburg, deren Anmeldezahlen stark eingebrochen sind, keine Lösung ab.
Doch nicht nur das Erzbistum Hamburg hat seine Lehren aus der Entwicklung gezogen. Auch andere deutsche Bistümer beobachten die Ereignisse im Norden aufmerksam. Die Schul-Finanzierung bereitet mancher Ortskirche Sorge – etwa dem Bistum Essen. Mittelfristig sieht es sich nicht in der Lage, die Trägerschaft aller Schulen aufrechtzuerhalten. Eine Schließung steht dort bisher nicht an. Derzeit werden Gespräche mit Politik und Verwaltung geführt, um „verschiedene Möglichkeiten auszuloten“. (KNA)