Vor 150 Jahren ging Henry Morton Stanley erneut auf Reisen

Gelder waren vorhanden. “Daily Telegraph” und “New York Herald” sponserten Henry Morton Stanleys zweite Zentralafrika-Expedition. Ein Unternehmen der Superlative – mit düsteren Seiten und Nebenwirkungen bis heute.

Sie nannten ihn “Bula matari” – “Der die Steine bricht”. Für den gebürtigen Waliser Henry Morton Stanley schien keine Herausforderung zu groß. Felsen, die ihm den Weg versperrten, sprengte er mit Dynamit beiseite. Für den eigenen Ruhm ging der Journalist und Afrikaforscher über Leichen, vorzugsweise die von Einheimischen. Deren Widerstände knüppelte er mit Nilpferdpeitschen und Gewehren nieder. Internationale Bekanntheit erlangte er 1871, als er seinen verschollen geglaubten Kollegen und Landsmann David Livingstone am Ufer des Tanganjika-Sees mit den legendären Worten begrüßte: “Doctor Livingstone, I presume?” – “Doktor Livingstone, nehme ich an?”

Vor 150 Jahren, am 17. November 1874, brach Stanley zu seiner zweiten Expedition ins zentrale Afrika auf. Wie schon bei der Suche nach Livingstone stand ihm das Boulevardblatt “New York Herald” finanziell zur Seite; dazu kam der britische “Daily Telegraph”. Ein erklärtes Ziel war unter anderem die Erkundung des Viktoriasees, des größten Gewässers auf dem Kontinent. Stanley startete mit ungefähr 300 Trägern – die Zahlen variieren je nach Quelle – und einem zerlegbaren Segel- und Ruderboot, der “Lady Alice”.

Bei der Umseglung des Viktoriasees trug Stanley die letzten Puzzlesteine zusammen, die das Rätsel um den Ursprung des Nils lösten: Aus dem See speist sich dessen wichtigster Zufluss. Bereits 1857 hatten die beiden Engländer Richard Francis Burton und John Hanning Speke der Sache auf den Grund gehen wollen. Doch stattdessen folgte eine jahrelange mit Intrigen gespickte Kontroverse, die Candice Millard in ihrem packenden Buch “Der Fluss der Götter” nachgezeichnet hat.

Aus den Recherchen der US-Journalistin geht auch hervor, dass die Europäer ohne einheimische Führer wie Sidi Mubarak Bombay auf verlorenem Posten unterwegs gewesen wären. Bombay, der als Kind von Sklavenhändlern nach Indien verschleppt worden war und Jahre später in seine Heimat nach Ostafrika zurückkehrte, bahnte schon Burton und Speke den Weg. Später tat er das auch für Stanley bei der Suche nach Livingstone. Der Umgang Stanleys mit Bombay wirft ein bezeichnendes Licht auf dessen Charakter: “Der berühmte Bombay betrat die Bühne”, schilderte Stanley mit höhnischem Unterton die erste Begegnung. “Es war nicht zu übersehen, dass Captain Speke ihn mit seiner Freundlichkeit verdorben hatte.”

Härte, nichts als Härte – die zeigte Stanley auch nach der Erkundung des Viktoriasees. Ihn zog es weiter westwärts, Richtung Kongo-Strom. Nach einem Gewaltmarsch von insgesamt rund 11.000 Kilometern in circa 1.000 Tagen erreichte er im August 1877 den Handelsposten Boma unweit der Atlantikküste. Von seinen Begleitern hatte er über 100 verloren; am Ende blieben alle Weißen außer ihm selbst auf der Strecke. Im Anschluss schlachtete Stanley seine Reise publizistisch aus, sein 1878 veröffentlichter Bericht “Through the Dark Continent” wurde ein großer Erfolg.

Längst war da schon der belgische König Leopold II. auf Stanley aufmerksam geworden und machte ihn ab 1878/79 zu seinem Emissär im Kongo. Für den belgischen Monarchen raffte er in den Folgejahren eine Kolonie von der 77-fachen Größe des Mutterlandes zusammen. Dieser Schritt sollte das Leben mehrerer hunderttausend Menschen in Zentralafrika für immer verändern, schreibt der belgische Autor David Van Reybrouck in seinem Bestseller “Kongo – Eine Geschichte”.

Bis 1908 blieb das riesige Gebiet im Privatbesitz von Leopold II. Die haarsträubenden Zustände dort gaben Anlass zu einer der ersten Menschenrechtskampagnen der Welt. Das Erbe der kolonialen Ära belastet die Demokratische Republik Kongo, die 1960 von Belgien unabhängig wurde, bis heute.

Allem PR-Rummel zum Trotz war Stanleys 1877 beendete Expedition nicht die erste dokumentierte Afrikadurchquerung. Das gelang kurz zuvor Verney Lovett Cameron – und Sidi Mubarak Bombay. “Am Ende war Bombay nicht nur der fähigste Wegführer in der Geschichte afrikanischer Entdeckungsreisen, sondern vermutlich der am weitesten gereiste Mann in ganz Afrika, der fast zehntausend Kilometer Grasland, Wälder, Wüsten und Gebirge durchquert hatte”, schreibt Candice Millard.