Vom anglikanischen Glauben abgekommen

Keine Heirat, aber immerhin eine Segnung homosexueller Paare hat die Anglikanische Kirche gerade erlaubt. Doch selbst das ist Geistlichen aus Afrika zu viel. Sie rebellieren gegen die Mutterkirche.

Rund um die Kathedrale von Canterbury ist die Segnung homosexueller Paare ein kontroverses Thema
Rund um die Kathedrale von Canterbury ist die Segnung homosexueller Paare ein kontroverses ThemaImago / Imagebroker

Dunkle Wolken über Canterbury. So lässt sich wohl am ehesten die Stimmung in der Anglikanischen Weltgemeinschaft beschreiben, die derzeit eine neuerliche Existenzkrise durchlebt. Auslöser ist die jüngste Entscheidung der Church of England, zwar weiter an der traditionellen Ehe festzuhalten, aber gleichzeitig auch homosexuelle Paare zu segnen.

Seit Jahren streiten die 42 Mitgliedskirchen der Anglikanischen Gemeinschaft über den Umgang mit dem Thema. Allen voran konservativere Anglikaner im sogenannten Globalen Süden hegen Groll gegen die englische Mutterkirche und deren Oberhaupt, Erzbischof Justin Welby von Canterbury. Sie wollen ihn künftig nicht mehr als primus inter pares, als nominellen Anführer der Weltgemeinschaft anerkennen, wie führende Vertreter der „Global South Fellowship of Anglican Churches“ Ende Februar mitteilten.

„Theologische Legitimität verloren“

„Mit großer Sorge“ reagierte die Global South Fellowship of Anglican Churches auf die Entscheidung der Church of England. Durch ihre Öffnung für Homosexuelle habe sie sich disqualifiziert, die weltweit rund 80 Millionen Anglikaner als Mutterkirche anzuführen. Erzbischof Welby könne man nicht länger als „Ersten unter Gleichen“ betrachten, so die Protest-Kirchen.

Widerstand kommt vor allem aus Afrika. Unter den zwölf Unterzeichnern der Erklärung gegen die Church of England finden sich unter anderem die Oberen des Sudan, des Kongos und der Riesen-Provinz Alexandria; sie umfasst neben Ägypten auch Äthiopien, Algerien und fünf weitere Länder Nord- und Ostafrikas. Zu Wort meldete sich auch der Primas der Church of Uganda, Erzbischof Stephen Samuel Kaziimba. In seinen Augen sind Verheiratung und Segnung homosexueller Paare ein und dasselbe. Der Mutterkirche in London wirft er deshalb vor, „vom anglikanischen Glauben abgekommen“ zu sein und ihre „theologische Legitimität verloren“ zu haben.

Justin Welby, Erzbischof von Canterbury
Justin Welby, Erzbischof von CanterburyImago / i-Images

Maria Frahm-Arp, Religionswissenschaftlerin an der Universität Johannesburg, sieht in der Spaltung der Glaubensgemeinschaft einen „traurigen Augenblick“ – wenngleich wenig überraschend: „In den vergangenen zehn Jahren gab es viel Druck auf die anglikanische Kirche, vor allem in Ländern des Globalen Nordens, gleichgeschlechtliche Paare in Kirchen von Priestern segnen zu lassen.“ Die Abkehr anglikanischer Mitglieder verdeutliche, „wie unterschiedlich die Ansichten und die Theologie innerhalb der Gemeinschaft geworden sind“. Auf lange Sicht, so schätzt die Expertin, werde sich die Anglikanische Weltgemeinschaft wohl „in verschiedene Kirche aufspalten“.

Nach Ansicht Frahm-Arps zeugt der Streit von einer wachsenden geistlichen Kluft zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Der Wunsch nach Dekolonisation habe die Kirchenspaltung beschleunigt: „Viele Menschen in Afrika lehnen es ab, Teil einer Kirche zu sein, die im Kolonialismus wurzelt und von den Kolonisatoren angeführt wird.“ Zu einem gewissen Grad habe die Homosexuellen-Segnung den konservativen Anglikanern einen Vorwand geliefert: Nach Jahren der schleichenden Trennung könne man es nun offiziell machen.

Kaum finanzielle Unterstützung

Und die Zukunft der neoanglikanischen Kirchen? „Ich denke, Afrikas anglikanische Kirchen können durchaus eigenständig und gut funktionieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sie keine nennenswerte finanzielle Unterstützung mehr von der Church of England erhalten“, sagt Frahm-Arp. Zudem könnten die unabhängigen Kirchen nach Ansicht der Expertin ihre eigene Liturgie und Theologie entwickeln. „Dadurch könnten sie eine Kirchenerfahrung schaffen, die mehr Menschen anspricht, und sie könnten genauso große Scharen von Gläubigen anziehen, wie es derzeit Pfingstkirchen in Afrika tun.“