Vögel, Wiesen, Auenwälder

Das Oderbruch an der Grenze zu Polen ist ein Naturparadies. Eine ideale Gegend zum Radeln, Wandern oder Kanufahren

Die Räder surren. Leise knistert der Kies unter den Reifen. Es ist früher Vormittag. Ein Morgen, als hätte der Herrgott seine Schöpfung gerade erst zu Ende gebracht. Alles ist frisch, atmet. In solchen Augenblicken bekommt man eine Ahnung, wie es vielleicht im Garten Eden gewesen sein könnte.

Wir sind auf Radtour. Von der Neißequelle im tschechischen Nová Ves nad Nisou übers sächsische Zittau bis nach Usedom an der Ostsee folgen wir Deutschlands östlichstem Radwanderweg, dem Oder-Neiße- (oder besser: Neiße-Oder-) Radweg. 630 Kilometer, nach dem Start in Tschechien fast immer der deutsch-polnischen Grenze entlang.

Und jetzt sind wir im Oderbruch.
Schon die ersten Tage waren gefüllt mit wunderbaren Naturerlebnissen. Aber jetzt, hier im Gebiet der ehemaligen Oder-Auen, erfahren wir im wahrsten Sinne des Wortes noch einmal eine Steigerung.

Eichen und Erlen stehen in überfluteten Wiesen. Birken und Pappeln. Die Reste des ehemals riesigen Auenwaldes bieten Schutz vor den Sonnenstrahlen. Die Oder teilt sich hier in Haupt-, Neben- und Altarme auf. Seerosen bedecken das Wasser. Schilf und Röhricht säumen die Ufer. Wiesenfuchsschwanz ist zu sehen. Küchenschelle. Roter Klatschmohn. Blaue Kornblume. Adonisröschen … das Artenvorkommen ist derart vielfältig, dass der interessierte Laie seine wahre Freude hat, was ihm da ständig unter die Augen kommt.

Das gilt auch für die Tierwelt. Am Himmel kreisen Bussarde und Milane. Am Wasser tummeln sich Reiher, Kraniche, Kiebitze. Gänse und Enten sowieso. Auch der Storch stolziert ganz selbstverständlich umher. Und, wenn man mal einen Augenblick genauer hinschaut, blitzt das prächtige Gefieder eines Eisvogels auf.

Das Oderbruch ist gar nicht mal so groß. Aber es ist ein Naturparadies. 60 Kilometer lang, maximal 20 Kilometer breit. Es liegt zwischen den Städten Oderberg im Nordwesten und Lebus im Südosten. Grob gesagt: direkt nordwärts von Frankfurt an der Oder. Das Gebiet liegt deutlich tiefer als seine Umgebung. Früher bildete die Oder hier ein Binnendelta aus mehreren weit verästelten Armen, im Grunde eine einzige große, zusammenhängende Sumpf- und Moorlandschaft. Die Menschen lebten von der Fischerei. Ständige Überflutungen ließen keine andere Nutzung des Landes zu.

Das änderte sich im 18. Jahrhundert. Und wie so oft, hatte auch hier der Alte Fritz seine Hände im Spiel. Zielstrebig arbeitete der Preußenkönig daran, sein Land auszubauen, um noch besser in der europäischen Machtpolitik mitmischen zu können. Dazu zählte, dass Friedrich II. das Oderbruch weitgehend trockenlegen ließ. Der mäandernde Flusslauf wurde durch einen neuen, geraderen ersetzt. Kanäle entwässerten das Moor.

Die fähigsten Ingenieure ihrer Zeit wurden angestellt; dazu Heerscharen von Siedlern aus ganz Europa mit Religionsfreiheit und Landbesitz gelockt, darunter viele protestantische Glaubensflüchtlinge aus dem katholischen Frankreich, die Hugenotten. Innerhalb von ein paar Jahren entstanden auf diese Weise große Acker- und Weideflächen. Der Plan des Alten Fritz ging auf, sein Reich verfügte über eine neue Proviantkammer. Noch heute kennt man für das Oderbruch den Beinamen: der Gemüsegarten Berlins.

Und so radeln wir heute, gut 250 Jahre nach der Trockenlegung weiter Teile des Moores, durch den Auenwald. Entlang von Flüssen und Kanälen. Entlang von Feldern. Oft verläuft der Radweg direkt auf dem Schutzdeich: Auf unserer Seite steht der schwarz-rot-gold gestrichene Grenzpfahl der Bundesrepublik. Am anderen Ufer der rot-weiße des Nachbarn Polen.

Kanus gleiten vorbei. Ein Fuchs schaut verwundert hoch, um gleich wieder im Zuckerrübenacker zu verschwinden. Eigentlich könnte man das Oderbruch in einer strammen Tagesetappe durchradeln. Aber dazu ist es viel zu schön. Wir halten an einer Pension, direkt hinterm Deich. Und auch, wenn es abgegriffen klingen mag: Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Auf eine gute Art und Weise. Ausgestopfte Hechte und Barsche hängen an der Wand. Der röhrende Hirsch als Ölgemälde. Die Zimmer sind schlicht, urig, sauber. Einfach klasse. Zum Abendessen gibt es Zander (aus dem Fluss) und Kartoffeln.

Anschließend werfen wir noch einen Blick auf das Regal mit den Büchern für die Pensionsgäste. Eine Sammlung mit Geschichten der Gegend steht da. Eine wichtige Rolle spielen dabei offenbar die Sagen rund um die Odernixe. Aber auch ein echter Krimi ist dabei: Theodor Fontanes „Unterm Birnbaum“. Fontane verfasste die Novelle zwischen 1883 und 1885, als Urbild des darin beschriebenen Tatortes gilt der Gasthof „Zum Alten Fritz“ in Letschin, gar nicht weit von hier.

Von solchen Geschichten um Mord und Todschlag lassen wir uns heute Abend nicht schrecken. Wir werfen einen Blick auf die untergehende Sonne. Steigen, müde vom Radeln, ins Bett. Und schlafen zum sanften Klang von Wald und Wasser ein.