Virologe Drosten und Journalist Mascolo ziehen Bilanz zu Corona

Während Corona ist Christian Drosten zum bekanntesten Virologen Deutschlands geworden – auch zum meistgehassten. Mit dem Journalisten Georg Mascolo hat er nun eine Bilanz der Pandemie gezogen.

“Es war ein Prozess der Krisenbewältigung, der alle bis ans Ende ihrer Kräfte trieb”, erinnert sich Christian Drosten. Im Januar 2021 habe Angela Merkel dann den ehrlichsten Satz gesagt, den er in diesen Monaten gehört habe: “Wir sind fertig, jeder.”

Wer das neue Buch des Berliner Virologen und des Journalisten Georg Mascolo liest, findet sich in den dramatischen Tagen der Corona-Pandemie wieder: die anrollende Welle der Hiobsbotschaften im Frühjahr 2020. Die schrecklichen Bilder von Militärfahrzeugen, die in Bergamo Leichen abtransportierten. Die unendlichen Verhandlungsrunden von Ministerpräsidenten und Bundesregierung. Oder die Fernsehansprache der Kanzlerin vom 18. März 2020 mit den Worten “Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.”

Vier Jahre später flammt die Debatte, wie Deutschland Corona bewältigt hat und ob das Land für kommende Pandemien besser vorbereitet ist, immer wieder auf. Doch schon bei der Frage, in welcher Form – Untersuchungsausschuss, Enquete-Kommission, Bürgerräte – der Lernprozess stattfinden sollte, gibt es keine Einigkeit.

Drosten und Mascolo kritisieren das in ihrem Gesprächsbuch heftig: “Es wäre verhängnisvoll, wenn aus dieser Pandemie keine allgemein akzeptierten Lehren gezogen würden.” In Schweden, Großbritannien und Singapur sei man da schon deutlich weiter, sagt der ehemalige “Spiegel”-Chefredakteur Mascolo. Drosten, Direktor des Instituts für Virologe der Charite, wünscht sich auch eine Aufarbeitung bei Medien und Wissenschaft.

Ob Deutschland für eine neue Pandemie besser aufgestellt ist? Drosten ist sich nicht sicher. Die Medizin sei besser vorbereitet. Doch gesellschaftlich sei eher ein Rückschritt zu befürchten. Die Zustimmung der Bevölkerung für neue Einschränkungen wäre wohl nicht wieder so hoch – außer, das Virus wäre höchst gefährlich.

Drosten hatte eigentlich verkündet, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Sein Buch begründet er jetzt mit dem Wunsch nach einer realistischen und fairen Darstellung der Ereignisse. Es ärgere ihn, wenn so getan werde, “als wäre am Anfang schon alles so harmlos gewesen wie nach zwei Jahren Impfprogramm”.

Beide Gesprächspartner erinnern daran, dass manche Entscheidungen von Regierungen und Behörden ohne wissenschaftliche Grundlage getroffen worden seien. “Es war schon erschreckend, wie große Fragen der Freiheit und Selbstbestimmung plötzlich überhaupt keine Rolle mehr spielten”, sagt Mascolo. “Auch die Bekämpfung eines Virus kann Schaden anrichten.” Doch Drosten betont auch die Folgen von Nichthandeln: “Wenn die Eingriffe durch die Politik nicht stattgefunden hätten, dann hätten wir in Deutschland wohl eine Katastrophe erlebt.”

Ernüchtert zeigt sich der Virologe über das Zusammenspiel von Medien, Wissenschaft und Politik. “Die Medien haben während der Pandemie stark polarisiert. Dabei sollten sie doch gerade in solchen Zeiten eine Wächterfunktion haben.” Da seien dann inhaltliche Fragen auf Personen zugespitzt worden. Auch seien Positionen als gleichwertig dargestellt worden, die allenfalls Minderheitsmeinung waren. Dabei gebe es Instanzen in der Wissenschaft, die etwas zu sagen hätten in ihrem Feld. “In diesen Foren herrschte in der Pandemie ein großer Konsens, es gab stets eine klare Mehrheitsmeinung.”

Bei einer weiteren Pandemie müsse die Politik einen einzigen Expertenrat schaffen, so der Virologe. Das Kriterium für Mitglieder solle ausschließlich “Kompetenz im jeweiligen Fachgebiet” sein. Von der Politik sieht sich Drosten immer wieder – bewusst oder unbewusst – vorgeführt und alleingelassen. Spitzenpolitiker hätten Entscheidungen auf die Wissenschaftler geschoben. “Ich habe ja keine der politischen Entscheidungen getroffen und auch nicht irgendein bestimmtes politisches Handeln gefordert.” Die Wissenschaft könne Befunde liefern. “Zu den Positionen aber müssen die Politiker gelangen.”

Drosten betont, er habe nie – obwohl ihm das unterstellt werde – zu flächendeckenden Schulschließungen geraten. Sie seien eine Folge der politischen Dynamik zwischen den Bundesländern gewesen. Im Nachhinein sei klar: Sowohl die Maßnahmen an den Arbeitsstätten als auch die Maßnahmen in den Schulen hätten sehr stark zur Verhinderung von Todes- und Krankheitsfällen beigetragen, sagt er. Manche Staaten hätten die Schulen fast nicht geschlossen. Dort sei aber die Arbeitswelt viel stärker reglementiert worden. “In Deutschland ist die Politik nicht so stark an die Arbeitsstätten herangegangen. All das sind keine wissenschaftlichen Entscheidungen. Das sind ganz klassisch politische.”

Bei allem Nachdenken über Lerneffekte schränkt Drosten ein, dass man sich nur begrenzt auf eine Pandemie vorbereiten könne: Es könne sein, dass sich ein neues Virus völlig anders verhalte. Auch die Aussage, nie wieder Schulen in diesem Ausmaß zu schließen, habe nur begrenzte Haltbarkeit: Wenn ein neues Virus Kinder besonders stark gefährde, müsse man komplett neu entscheiden.