Vatikan: Religionsfreiheit durch Urteil gegen Kardinal bedroht
Darf die Kirche jemand wegen „geistlichen Missbrauchs“ abstrafen? Ein Gericht in Frankreich bezweifelt das, weil die Rechtsgrundlage dafür fehle. Durch das Urteil sieht der Vatikan die Religionsfreiheit bedroht.
Das Urteil eines staatlichen Gerichts in Frankreich gegen Kurienkardinal Marc Ouellet (79) gefährdet aus Sicht des Heiligen Stuhls das Grundrecht der Religionsfreiheit. Das teilte der Direktor des vatikanischen Presseamtes, Matteo Bruni, am Samstag auf Journalistenfragen mit. Zudem sei die Vereinsfreiheit religiöser Organisationen betroffen, ihre inneren Angelegenheiten selbstständig zu regeln.
Ein Zivilgericht von Lorient hatte laut Medienberichten unlängst in erster Instanz entschieden, der damalige Leiter der vatikanischen Bischofskongregation und weitere kirchliche Entscheider hätten im Oktober 2020 Sabine Baudin de la Valette (Ordensname Mutter Marie Ferreol, 57) ohne hinreichende rechtliche Grundlage aus einer Schwesterngemeinschaft entfernt. Dadurch sei ihr schwerer Schaden entstanden.
Die kirchlichen Stellen hatten der Ordensfrau unter anderem geistlichen Missbrauch vorgeworfen und dies in mehreren Visitationen kirchenintern überprüft. Geistlicher Missbrauch ist eine Form der seelischen Manipulation, für die es bislang weder im kirchlichen noch im weltlichen Recht Strafbestimmungen gibt.
Nach Meinung des Gerichts wurde die Frau folglich ohne Rechtsgrundlage bestraft und somit geschädigt. Die vom Gericht verhängten Schadensersatzzahlungen gegen Ouellet und die Mitbeklagten belaufen sich laut den Medienberichten auf insgesamt etwa 300.000 Euro.
In der Vatikan-Erklärung vom Samstag heißt es weiter, der Heilige Stuhl habe nur aus den Medien von dem mutmaßlichen Urteil erfahren. Ouellet sei nicht vor das Gericht geladen worden.
Ein mögliches Urteil würde nicht nur Fragen der Immunität des betroffenen Kardinals berühren, erklärte Bruni. Sollte es sich tatsächlich gegen eine disziplinarische Entscheidung in einer Ordensgemeinschaft richten, könnte dies zu einer „schweren Verletzung der fundamentalen Rechte der Religionsfreiheit“ sowie der religiösen Vereinigungsfreiheit führen.