Ukraine-Krieg: Bislang nur wenig humanitäre Visa für gefährdete Russen

Die Bundesregierung hat russischen Deserteuren einen schnellen Schutz in Deutschland versprochen. Doch die Vergabe humanitärer Visa ist teilweise alles andere als unbürokratisch.

Bislang mehr als 1.000 Aufnahmezusagen für gefährdete Russen
Bislang mehr als 1.000 Aufnahmezusagen für gefährdete RussenImago / NurPhoto

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat Deutschland 1.149 gefährdeten russischen Staatsbürgern eine Aufnahme zugesagt. Bis zum 13. Januar sind 679 humanitäre Visa vergeben worden. Dies geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken im Bundestag hervor, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt.

Paragraf 22 regelt die Aufnahme

Die Bundesregierung hatte Russinnen und Russen, die aufgrund ihres Einsatzes für Menschenrechte und gegen den Krieg besonders gefährdet sind, Hilfe versprochen. Dazu gehören etwa Oppositionelle, Journalisten und Menschenrechtler. Grundlage ist der Paragraf 22 im Aufenthaltsgesetz, nach dem aus „dringenden humanitären Gründen“ eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann. Deutsche Auslandsvertretungen haben den Angaben zufolge seit Beginn des Ukraine-Kriegs 510 Schengen-Visa zum kurzfristigen Aufenthalt an gefährdete russische Staatsangehörige erteilt. Eine Differenzierung innerhalb dieser Personengruppen sei nicht möglich, da diese Daten statistisch nicht erfasst werden, heißt es in der Antwort des Bundesinnenministeriums.

Jeder Einzelfall wird geprüft

Daraus geht auch hervor, dass die Prüfung der Entscheidungspraxis durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu russischen Kriegsdienstverweigerern noch andauert. Derzeit werde in jedem Einzelfall geprüft, ob ein Schutzanspruch vorliegt. Nach wie vor gebe es damit keinerlei Sicherheit, dass russischen Kriegsdienstverweigerern in einem Asylverfahren in Deutschland Schutz gewährt werde, kritisierte die Linken-Abgeordnete Clara Bünger. „Mir ist schleierhaft, was es da so lange zu prüfen gibt“, erklärte sie. Bünger forderte, die Entscheidungspraxis anzupassen, „damit die netten Worte der Bundesregierung nicht länger leere Versprechen bleiben“. Die Bundesregierung hatte Deserteuren Unterstützung zugesagt.

Rund 150.000 Männer auf der Flucht

Wie aus der Antwort des Bundesinnenministeriums hervorgeht, wurde zwischen März und November 2022 insgesamt 69 russischen Staatsangehörigen internationaler Schutz gewährt. Asylgründe werden statistisch allerdings nicht erfasst, sodass nicht gesagt werden kann, ob es sich dabei vor allem um Kriegsdienstverweigerer handelt. Nach Schätzung des Offenbacher Vereins „Connection“, der sich für Deserteure aus anderen Ländern einsetzt, sind rund 150.000 Männer im wehrfähigen Alter seit Kriegsbeginn aus Russland nach Westeuropa geflohen. Der Verein hat nach eigenen Angaben mehr als 1.000 Anfragen von Russen erhalten, die sich Putins Angriffskrieg entziehen wollen.