TV-Premiere „Parallele Mütter“ – Almodovars politischster Film

Zwei Frauen, vom Alter und vom familiären Hintergrund sehr unterschiedlich, lernen sich in dem Film „Parallele Mütter“ in der Geburtsklinik kennen – sie ahnen nicht, wie stark sie das Schicksal aneinander binden wird.

In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:

Die erfolgreiche Fotografin Janis (Penelope Cruz) und die junge Ana (Milena Smit), die sich ein Zimmer in dem Krankenhaus teilen, in dem sie beide ihr erstes Kind zur Welt bringen, freunden sich miteinander an. Als die Fotografin später herausfindet, dass sie nicht die leibliche Mutter ihres Kindes ist, weil in der Klinik ihr Baby und das der Freundin vertauscht wurden, wird das zur seelischen Zerreißprobe.

Ein vielschichtiges, vorzüglich gespieltes und inszeniertes Melodram von Pedro Almodovar von 2021 um Mutterschaft in ihren biologischen, sozialen und psychologischen Facetten, festgemacht an der Geschichte einer komplexen Frauenfreundschaft und den Beziehungen, die beide Frauen prägen. Dabei geht es auch um alte Traumata und verdrängten historischen Ballast, der in die Gegenwart nachwirkt und dem es mit Mut zur Wahrheit zu begegnen gilt.

Er lächelt, sie fotografiert. Janis (Penelope Cruz) trifft Arturo (Israel Elejalde) zum ersten Mal bei einem Fototermin in Madrid. Sie ist eine erfolgreiche Fotografin, er ein bekannter Gerichtsmediziner, der als forensischer Archäologe die in Massengräbern verscharrten Opfer des Franco-Regimes identifiziert. Spanien ist im Winter 2016 in Bezug auf die Vergangenheit und die Frage, wie man mit den Verbrechen der Diktatur umgehen soll, politisch polarisiert.

Janis bittet Arturo um Hilfe bei der Exhumierung ihres Urgroßvaters und anderer Opfer im Dorf ihrer Familie in Kastilien. Die beiden verstehen sich und werden ein Paar. Als Janis schwanger wird, zögert Arturo jedoch. Sie trennt sich von ihm und entscheidet sich, das Kind alleine aufzuziehen, wie es schon ihre Mutter und ihre Großmutter getan haben.

In der Entbindungsklinik lernt sie Ana (Milena Smit) kennen. Sie ist fast noch ein Kind und wurde nach einer Vergewaltigung durch eine Horde von Männern schwanger. Die beiden Mütter freunden sich im Krankenhaus an, verlieren sich aber wieder aus den Augen. Als sie sich Monate später zufällig wiedertreffen, ist alles anders.

Pedro Almodovar ist ein Meister der bewegten Tragödie, bei der sich über melodramatische Schicksalsverflechtungen immer wieder neue Erzählebenen öffnen. So erzählt „Parallele Mütter“ von ganz unterschiedlichen Facetten des Mutterseins. Da ist etwa Teresa (Aitana Sanchez Gijon), die Mutter von Ana, die nach der Scheidung auf ihre Tochter verzichten musste, erst über deren Schwangerschaft wieder Kontakt zu ihr bekam und sich selbst als unfähig zur Mutterschaft bezeichnet.

Oder die Mutter von Janis, die ihre Tochter nach ihrem Idol Janis Joplin benannte, und dann selbst wie die Sängerin an einer Überdosis Drogen starb. Und Ana selbst, die ihr Kind in einem entscheidenden Moment als Geisel in einem emotionalen Konflikt einsetzt. „Parallele Mütter“ erzählt von biologischer und emotionaler Identität und von der Ehrlichkeit sich selbst und anderen gegenüber.

Vom ersten Moment an ist der ganz besondere Stil Almodovars zu erkennen, die bis ins kleinste Detail stilisierte Ausstattung, die Palette leuchtender Farben, die Jose Luis Alcaine virtuos ins Bild setzt, umspielt von der dynamischen, vielseitig sinfonischen Musik von Alberto Iglesias. Getragen wird der Film zudem vom Zusammenspiel der Hauptdarstellerinnen Penelope Cruz und Milena Smit, die zwischen Freundschaft, Liebe, Hass und Eifersucht eine enorme Bandbreite menschlicher Empfindungen durchmessen.

„Parallele Mütter“ verbindet das Gefühlsdrama mit dem Politischen. Das ist ungewöhnlich für Almodovar, dessen Wurzeln in der Madrider „Movida“ liegen, die in den 1980er Jahren einen apolitischen Hedonismus propagierte und die Vergangenheit verdrängte. Das änderte sich erst um das Jahr 2000, als Massengräber geöffnet wurden und die Generation der Enkel eine neue Bewegung der historischen Erinnerung ins Leben rief.

In diesem Zusammenhang handelt „Parallele Mütter“ auch von mangelnder gesellschaftlicher Ehrlichkeit, vom kollektiven Schweigen und von Feigheit und dem Versagen der Väter und Mütter. Anas konservativer Vater ist der Überzeugung, dass man die Toten in den Massengräbern in Ruhe lassen und keine alten Wunden aufreißen sollte. Die Vergewaltiger seiner minderjährigen Tochter will er auch nicht anzeigen, da er den Skandal in Granada fürchtet.

Auch Arturo, der sich der Suche nach der Wahrheit verschrieben hat und mit Leib und Seele nach den Opfern der Diktatur fahndet, ist nicht imstande, seiner krebskranken Ehefrau von seiner neuen Liebe zu Janis und dem gemeinsamen Kind zu erzählen. Aber auch Janis schafft es nicht, mit Ana über das Geheimnis um das Schicksal ihrer beider Kinder zu sprechen.

Am Ende, so die Botschaft des Films, kann nur Ehrlichkeit Frieden bringen und zu einem selbstbestimmten, glücklichen Leben befreien. Almodovar unterstreicht ohne Selbstgerechtigkeit, dass es ohne Frieden mit der Vergangenheit keine Zukunft geben kann. „Parallele Mütter“ ist damit Almodovars bisher politischster Film, ein subtil konstruiertes Drama um Grundfragen der menschlichen Existenz. Es geht um Muttersein, um Tod und Hoffnung, aber auch eine intelligente Radiographie der spanischen Gesellschaft, die immer noch zerrissen ist, weil sie keine Verantwortung für ihre Vergangenheit übernimmt.

Der Film von 2021 handelt von schmerzhaften Reifeprozessen, von Versöhnung und Neubeginn. Das rätselhafte, magisch realistische Schlussbild der Lebenden inmitten einer Grube voller Toten bleibt lange im Gedächtnis.