Tunesien: Juristen im Visier der Regierung

Lange hat sich Hatem Mziou, Vorsitzender des tunesischen Anwaltsverbandes, zurückgehalten. Zu lange, wie ihm manche vorwerfen. Doch am Dienstag platzte es aus ihm heraus. „Wir sind doch nicht gegen Verhaftungen an sich“, sagte er in der Hauptstadt Tunis. „Aber die Abläufe müssen eingehalten werden. Und das, ohne dass irgendwas kaputt geschlagen wird.“

Grund für seinen Zorn ist das Vorgehen gegen den Anwalt Mehdi Zaghrouba. Der war am Montagabend im Sitz des Anwaltsverbandes festgenommen worden. Was genau passiert ist, bleibt auch mehrere Tage später unklar. Augenzeugen berichten, Sicherheitskräfte in Zivil seien eingedrungen, hätten Zaghrouba mitgenommen sowie Teile der Einrichtung zerschlagen. Bilder tunesischer Medien zeigen kaputte Glastüren und zersplitterte, auf dem Boden liegende Bilderrahmen. Das Innenministerium dementierte, für die Schäden verantwortlich zu sein.

Inzwischen wurde gegen Zaghrouba Untersuchungshaft wegen Angriffen auf Polizisten angeordnet. Der Jurist musste allerdings am Mittwoch ins Krankenhaus gebracht werden, weil er nicht vernehmungsfähig war. Sein Anwalt, Boubaker Ben Thabet, sagte der staatlichen Nachrichtenagentur TAP, sein Mandant sei gefoltert worden.

In Tunesien hat sich die Menschenrechtslage massiv verschlechtert, seit Präsident Kais Saied 2021 den Notstand ausrief und weitgehend per Dekret regiert. Er verfolgt die Opposition und kritische Stimmen aus der Presse, der Justiz und von Menschenrechtsorganisationen.

Laut Anklage hat Zaghrouba am Montag zwei Sicherheitsbeamte im Gericht angegriffen. Dort hatten mehrere Anwälte gegen die Festnahme Sonia Dahmanis zwei Tage zuvor protestiert. Die regimekritische Juristin und politische Analystin wurde nach einem sarkastischen Kommentar zum Zustand des Landes in einer Talkshow auf Grundlage des Dekrets 54 gegen Falschmeldungen inhaftiert. Sie hatte auf die Behauptung eines Gesprächspartners, Migranten aus Afrika südlich der Sahara wollten sich gezielt in Tunesien ansiedeln, erwidert, Tunesien sei ein derart tolles Land, dass selbst die eigene Jugend es verlassen wolle.

Saied verfolgt einen harten Kurs beim Thema Migration. Die Regierung geht massiv gegen Schutzsuchende vor, lässt ihre informellen Unterkünfte mit Gewalt räumen, verschleppt Hunderte von ihnen in die Wüste. In einer Absichtserklärung für ein Abkommen mit der EU hat Tunesien sich gegen die Zahlung hunderter Millionen Euro zudem verpflichtet, die Migration über das Mittelmeer einzudämmen. Zugleich fliehen jedes Jahr Tausende Tunesierinnen und Tunesier nach Norden. Seit Anfang des Monats sind neben Anwälten auch Journalisten, Migranten und NGO-Vertreter verhaftet worden.

Dahmani drohen für ihren Satz in der Talkshow nun bis zu fünf Jahren Haft. Zudem laufen zwei weitere Verfahren gegen sie, ebenfalls auf Basis von Dekret 54. Die prominente Juristin hatte sich nach einer richterlichen Vorladung in den Sitz des Anwaltsverbandes geflüchtet, der bis dahin für die Sicherheitskräfte tabu gewesen war. Doch am Samstag stürmten vermummte Beamte in Zivil das Büro und nahmen Dahmani mit, während zufälligerweise die Korrespondentin des französischen Senders France 24 dort live auf Sendung war.

In der Folge wurde der Kameramann des Senders vorübergehend festgenommen, nach eigenen Aussagen geschlagen und zur Herausgabe des Materials aufgefordert. Am gleichen Tag verhafteten die Behörden außerdem zwei Journalisten des privaten Radiosenders IFM wegen angeblichen Verstoßes gegen das Fake-News-Dekret.

Aber auch Kritik von außen will sich das Saied-Regime nicht bieten lassen. Nachdem die EU erklärt hatte, die jüngsten Entwicklungen in Tunesien mit Sorge zu verfolgen und auch Kritik aus den USA kam, ordnete der Präsident am Mittwoch die Vorladung mehrerer ausländischer Botschafter wegen Einmischung in innere Angelegenheiten an.