„The Zone of Interest“ – Herausragendes Auschwitz-Drama

Das Auschwitz-Drama ist radikal und herausragend. Es zeigt eine Idylle am Rande des unvorstellbaren Grauens. Und einmal mehr glänzt Oscar-Anwärterin Sandra Hüller. Der Film ist „Kinotipp der Katholischen Filmkritik“.

„Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“. Über diesen Ausspruch des Philosophen Theodor W. Adorno ist schon viel diskutiert worden. Hinter dem pointierten Einwurf steckt ein Entsetzen, das nicht vergehen will. Der Satz hält den Schock fest, das Erschrecken und die Scham über etwas Undenkbares, das sich zur Metapher „Auschwitz“ verdichtet hat.

Die Sentenz gilt auch fürs Kino und seine Bildermaschine, die alles zeigen und sichtbar machen will. Gerade daran aber sind schon viele Filme über den Holocaust gescheitert. Vorsichtigere Werke wählten von „Nacht und Nebel“ (1955) bis zu „Schindlers Liste“ (1994) indirekte Wege, um vom Zivilisationsbruch zu erzählen.

Der neueste Versuch vom englischen Regisseur Jonathan Glazer hat sich Adornos Formel zur Leitschnur erkoren. Das lose auf dem gleichnamigen Roman von Martin Amis beruhende Drama erzählt vom Leben des KZ-Kommandanten Rudolf Höß und seiner Frau Hedwig, die mit ihren fünf Kindern und vielen Haushaltshilfen 1943 eine Villa in unmittelbarer Nähe zum Lager bewohnen.

Der Film hebt mit einer bestechenden Idylle an. Inmitten einer friedlich-grünen Natur hat sich Familie Höß an einem See niedergelassen. Die Blätter rauschen, Kinder vergnügen sich im Wasser, abends kehren die Ausflügler in zwei schwarzen Limousinen in ihr herrschaftliches Haus zurück.

Erst am nächsten Morgen realisiert man, dass das Anwesen unmittelbar an der Betonmauer des KZs liegt, aus dem immer wieder Schreie, Schüsse und ein düsteres Grollen herüberdringen. Doch bis auf die Silhouette eines Wachturms und dem Rauch und Feuer spuckenden Schlot des Krematoriums bleiben die Todesmühlen von Auschwitz-Birkenau strikt außerhalb des Bildes.

Aus dieser Diskrepanz zwischen biederer Bürgerlichkeit und dem Wissen um den industriell organisierten Massenmord erwächst eine atemlose Spannung, die keine Auflösung zulässt, sondern bis zum Schluss an den unerträglichen Widersprüchen festhält.

Während Hedwig zum Kaffeekränzchen lädt, empfängt der Kommandant zwei Manager von Topf & Söhne, die ihm die neuen Krematorien erläutern, welche im Dauerbetrieb „beladen und betrieben“ werden können. Abends legt er sich dann zu seinen Töchtern ins Bett und liest ihnen mit weicher Stimme Märchen vor.

Mehrmals schaut die Kamera dem von Christian Friedel mit leeren Augen gespielten Höß dabei zu, wie er am Ende des Tages durch das Haus geht, eine Lampe nach der anderen löscht, pedantisch die Türen schließt und sich dann schlafen legt. Es gibt keine Psychologie, keine Angst, keine Alpträume; nur zwei mit der Wärmekamera fotografierte Sequenzen, in denen ein namenloses Mädchen nachts Obst und Kartoffeln für die Gefangenen am Wegrand versteckt.

Die konzentrierte Stille und der streng registrierende Gestus der Aufnahmen, die nichts erklären oder forcieren wollen, bedingen eine enorme Konzentration, die auch bei eher handlungsorientierten Passagen nicht schwindet: Etwa wenn Höß bei einem Bootsausflug mit seinen Kindern in KZ-Abwässer mit menschlichen Überresten gerät oder im Sommer 1943 nach Berlin versetzt wird, was zu einer handfesten Ehekrise führt, da seine Frau (biestig-deutsch: Sandra Hüller) das Anwesen in Auschwitz auf keinen Fall verlassen will.

Die große Radikalität und Wucht von „The Zone of Interest“ hat viel mit der konzeptionellen Strenge der Inszenierung zu tun, die durchgängig aus einer beobachtenden Halbdistanz auf die Familie Höß schaut. Er ist weniger die Täterperspektive als vielmehr die schwer aushaltbare Mischung zwischen der Ungeheuerlichkeit „auf der anderen Seite der Mauer“ und der gespenstischen Normalität eines privilegierten Daseins, die den Film einzigartig macht.

Auch für die Anbindung an die Gegenwart findet Glazer eine dramaturgisch bezwingende Lösung, wenn er Höß in einem Moment höchster Macht für einen Augenblick schwächeln lässt und das zu einem Zeitsprung ins heutige Museumsgelände in Auschwitz nutzt, wo die Baracken mit den Haaren, Brillen und Schuhen der Ermordeten gerade für den nächsten Besucheransturm hergerichtet werden. Das ist nicht nur visuell ein Schock, sondern verankert den herausragenden Film wortlos-schmerzhaft in der Gegenwart, quasi über Bande, aber so, dass die Dialektik von Zeigen und Nicht-Zeigen ihre maximale Spannung erfährt.