Tauchtourismus gefährdet Seekriegsgräber

Schatzsucher und Freizeittaucher gefährden zunehmend deutsche Seekriegsgräber aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Die Gebeine von mehr als 200.000 Toten aus dieser Zeit lägen noch unter Wasser, schätzt Christian Lübcke vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. „Durch die bessere Ausrüstung dringen immer mehr Tauchtouristen zu Seekriegsgräbern vor“, sagt der Experte. „Auf Social Media wird dann ungehemmt damit geprahlt.“ Es ginge hier aber nicht um eine harmlose Schatzsuche oder ein Freizeitvergnügen. „Wer Relikte von einem Wrack mitnimmt, begeht Diebstahl.“ Bei einer Fachtagung am Freitag in Hamburg suchten Vertreterinnen und Vertreter von Volksbund, Landesarchäologie und weiteren Organisationen nach Lösungen für das wachsende Problem.

Seekriegsgräber sind Schiffe oder Flugzeuge, die im Ersten oder Zweiten Weltkrieg zerstört wurden und im Meer versunken sind. Dazu gehören neben Kriegsschiffen auch zivile Schiffe und U-Boote. Die Toten wurden in diesen Fällen nicht geborgen, die Gebeine sind noch vor Ort. „An Bord dieser Flugzeuge und Schiffe waren sehr unterschiedliche Menschen. Vom überzeugten Nazi bis zum KZ-Häftling. Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Wie gehen wir mit unseren Toten um?“, sagt Jann Witt vom Deutschen Marinebund.

Derzeit gibt es in Deutschland keine Rechtsgrundlage, die Wracks außerhalb der deutschen Hoheitsgewässer, der sogenannten Zwölf-Meilen-Zone, schützt. Innerhalb dieser Zone greifen die Denkmalschutzgesetze der einzelnen Bundesländer.

„Diese Seekriegsgräber sind historische Zeitkapseln, oft sehr gut erhalten. Diese Wracks werden teilweise aus kommerziellem Interesse auseinandergerissen“, beklagt Witt. Durch die gestiegenen Rohstoffpreise könne es für Unternehmen lukrativ sein, die Schiffswracks zu bergen. Der dort verwendete Stahl sei oft sehr hochwertig und dadurch begehrt, erläutert der Experte vom Marinebund.

Rechtlich gehört ein versunkenes Schiff dem Herkunftsstaat, unabhängig vom Fundort. Das tiefstgelegene deutsche Seekriegsgrab befindet sich vor der brasilianischen Küste, in 5.762 Metern Meerestiefe.

Die Fachleute hoffen, dass Deutschland möglichst schnell die Unesco-Konvention zum Schutz des Unterwasserkulturerbes unterzeichnet. Mit dieser Konvention, die bereits 2001 ausgearbeitet wurde, könnte eine gesicherte Rechtsgrundlage geschaffen werden.

„Es gibt kein Meer, in dem nicht ein deutsches Seekriegsgrab zu finden ist“, erklärt Lübcke. Auch in Nord- und Ostsee fänden sich etliche solcher Wracks. „Es muss dringend etwas passieren, es ist fünf vor zwölf“, betont der Fachmann.

Durch die Tagung in Hamburg erhoffen sich die Verbände und Organisationen eine bessere Vernetzung und einen Impuls an die Politik. Denn die Frage der Seekriegsgräber ist auch für aktuelle Bauvorhaben von Bedeutung. So gibt es für Windparks, die außerhalb der Zwölf-Meilen-Zone errichtet werden, derzeit keine bindenden Vorgaben, wie mit den Wracks umzugehen ist.