Sünde oder ­einfach Liebe?

Religionen im Gespräch: Sichtweisen auf Homosexualität

Theologinnen und Theologen der großen Weltreligionen beleuchteten die unterschiedlichen Sichtweisen von Homosexualität bei einem Religionsgespräch in der Berliner Akademie der Wissenschaften

Von Tilman Asmus Fischer

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wurde vom Oberhaupt der Russisch-orthodoxen Kirche, ­Patriarch Kyrill, nicht zuletzt als eine „Verteidigung“ gegen Gay-­Prides legitimiert. Auch die Begründung der militärischen „Spezial­operation“ durch den russischen Präsidenten steht in einem größeren ideologischen Zusammenhang, in dem sich Russland von einem ­liberalistischen „Gayropa“ bedroht sieht. Hieran erinnerte Thomas Sparr vom Verlag der Weltreligionen in seinem Schlusswort zu einer gemeinsam mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) am 26. April in Berlin ausgerichteten Podiumsdiskussion. Damit aktualisierte Sparr zugleich die für sich ­genommen nicht neue Thematik – „Homosexualität: Grundproblem der Weltreligionen“. 

Theologiegeschichtliches Erbe nüchtern bilanzieren

In seiner Einleitung nahm der evangelische Kirchenhistoriker und BBAW-Präsident Christoph Markschies sowohl die Spekulationen über die sexuelle Orientierung Dietrich Bonhoeffers als auch dessen eigene ethischen Reflexionen zur Sexualität in den Blick. Bonhoeffer thematisierte Homosexualität zwar nur selten, erblickte in ihr ­jedoch eine „Schädigung der Gemeinschaft“. Anhand dieses Beispiels verdeutlichte Markschies die Notwendigkeit einer nüchternen Bilanzierung des theologie­geschicht­lichen Erbes im Blick auf den ­Umgang mit Homosexualität.

Einen „kritischen Umgang mit der Tradition“ forderte mit Isolde Karle auch eine weitere evangelische Theologin im Rahmen der von ­Harald Asel, Redakteur des rbb24 ­Inforadio, moderierten Diskussion. Die Professorin für Praktische ­Theologie an der Ruhr-Universität Bochum sprach sich für eine „differenzierte Auseinandersetzung mit biblischen Aussagen“ aus. Diese müsse in Sachen Homosexualität auf dem heutigen und „nicht auf dem Wissensstand der Antike“ erfolgen. In einem solchen „Gespräch mit der Tradition“ sei die evangelische Ethik zum Konsens gelangt, dass Homo­sexualität keine Sünde sei.

Als Beispiel für Entwicklungen innerhalb der offiziellen Bibelaus­legung durch das katholische Lehramt verwies Michael Brinkschröder, Theologe und Soziologe sowie Sprecher des Katholischen LSBT+ Komitees, auf das Anthropologie-Dokument „Was ist der Mensch“ der Päpstlichen Bibelkommission von 2019. Dessen Kapitel zur Homo­sexualität deutet die Sodom-Episode in Genesis 19 ausschließlich als ­Erzählung über gebrochene Gastfreundschaft. Damit vollzieht die Kommission eine Kehrtwende. Denn bisher war der Text als Verbot ­homosexueller Handlungen gelesen worden. 

Von den Entwicklungen in der evangelischen und katholischen Theologie stach das globale Stimmungsbild, das Mouhanad Khorchide, Professor für Islamische ­Religionspädagogik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, zeichnete, erkennbar ab: „Die Mehrheit der Muslime lehnt Homosexualität ohne Wenn und Aber ab.“ Dennoch sei er mit Blick auf die ­Entwicklungen in Deutschland ­optimistisch. Sorgen bereite ihm die „identitätspolitische Aufladung innerislamischer Debatten“ wie etwa um Homosexualität. Für diese seien zunehmend weniger theologische Motive als die Bewahrung der ­eigenen Identität gegenüber der westlichen Welt entscheidend.

Eine vergleichbare Dynamik benannte Alexander Grodensky, liberaler Landesrabbiner des Großherzogtums Luxemburg und Oberrabbiner der Liberalen Jüdischen Gemeinde Slowenien, für das Judentum. Für ihn stand dennoch fest: „Die Mehrheit der Juden sieht Homosexualität nicht als Sünde an.“ Zudem identifizierte er auch innerhalb des orthodoxen Judentums Aufbrüche, wenn etwa von der Halacha her argumentiert werde, dass man durchaus „ohne bestimmte Praktiken zusammenleben und sich lieben“ könne.

Fundierter interreligiöser Dialog ist wichtig

Zusammengenommen verdeutlichten die Diskussionsbeiträge, inwieweit bei den Haltungen zur Homosexualität sowohl zwischen als auch innerhalb der ­Monotheismen eine Gleich­zeitigkeit des Ungleichzeitigen herrscht. Umso wichtiger ist ­gerade in solchen ­Konstellationen der wissenschaftlich fundierte interreligiöse Dialog, wie ihn sich die „Berliner Religionsgespräche“ auf die Fahne geschrieben haben, Teil derer die Diskussion war.

Voraussichtlich am 4. Oktober werden „Orthodoxien“ Gegenstand des nächsten Religionsgesprächs sein, das BBAW und der Verlag der Weltreligionen gemeinsam mit rbb24 Inforadio sowie der Udo Keller Stiftung Forum Humanum verantworten. Die politische wie gesellschaftliche Aktualität dieses Themas dürfte – in Anknüpfung an Sparr – bereits durch die Brisanz der Diskussion über Homosexualität erwiesen sein. 

Die Debatte wird am 22. Mai um 11 Uhr im „Forum“ von rbb24 Inforadio ausgestrahlt. Video-Mitschnitt: https://youtu.be/yftkaTsUzQ8