Muss die Mandela-Partei um ihre Macht bangen?

Vor drei Jahrzehnten hat Südafrika gegen alle Erwartungen das Unglaubliche getan und den friedlichen Übergang zum Vielvölkerstaat vollzogen. Jetzt steht in der Politik möglicherweise eine ähnliche Kehrtwende bevor.

Vielen Südafrikanern erscheint die Wahlkampfzeit wie ein verfrühtes Weihnachten: Geschenke vom regierenden Afrikanischen Nationalkongress (ANC) gibt es nicht nur als T-Shirts. Auch die Energiekrise mit ihren täglichen Stromausfällen scheint plötzlich gelöst und nur Tage vor dem Urnengang erließ Präsident Cyril Ramaphosa ein neues Gesundheitsgesetz, das Zugang zu Privatkliniken für alle bringen soll. Trotzdem muss die Revolutionspartei von Nelson Mandela am Mittwoch (29. Mai) um ihre Macht bangen.

“Zum ersten Mal lautet die Frage nicht, mit welcher Mehrheit der regierende Afrikanische Nationalkongress (ANC) siegen wird, sondern ob er überhaupt die Mehrheit halten kann”, sagt Mike Pothier, Analyst der Südafrikanischen Bischofskonferenz. Auf das Versagen der Revolutionspartei, mit der Nelson Mandela 1994 die Apartheid beendet hatte, machen auch die beiden Journalisten Adriaan Basson und Qaanitah Hunter aufmerksam: Trotz bedeutsamer Errungenschaften in den Anfangsjahren habe der ANC “fundamental versäumt, das Land in ein blühendes, friedliches und wirtschaftlich stabiles Leuchtfeuer zu verwandeln”, schreiben sie in ihrem Buch “Who will rule South Africa?”.

Ähnlich sieht das Gregor Jaecke, Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kapstadt. In einer Umfrage erklärten demnach zuletzt 80 Prozent der Südafrikaner, das Land bewege sich in die falsche Richtung. Nicht nur für die Südafrikaner seien die Parlaments- und Provinzwahlen richtungsweisend; auch in Berlin beobachte man den Urnengang gespannt, so Jaecke: “Die Regenbogennation ist wirtschaftlich und politisch ein Gigant auf dem afrikanischen Kontinent – ein Kontinent, der für Europa und Deutschland immer wichtiger wird.” Rund 600 deutsche Unternehmen seien in dem Schwellenland tätig, Deutschlands wichtigstem Handelspartner in Afrika.

Armut von mehr als 50 Prozent, Kriminalität, kollabierende Infrastruktur: Die Probleme nagen an Südafrika wie die Mäuse am Speck. Und der Hausherr schaut zu. Politik-Experten beschreiben die 2010er Jahre als ein “verlorenes Jahrzehnt”, was Südafrikas Entwicklung angeht. Zu beschäftigt war der 2018 zurückberufene Präsident Jacob Zuma damit, gemeinsam mit seinen Geschäftspartnern den Staat für seinen eigenen Profit auszuhöhlen. Die “State Capture”-Skandale kamen den ANC bereits 2021 teuer zu stehen: Bei den Lokalwahlen holte er landesweit 46 Prozent und musste in mehreren Städten Oppositionskoalitionen weichen.

Abschreiben will den ANC aber noch niemand. Die Gretchenfrage lautet: Schafft es der ANC, seine Mehrheit zu halten, oder regiert bereits in wenigen Woche eine Koalition Südafrika? Falls der ANC auf knapp unter 50 Prozent fällt, könnte er sich mit einer der kleineren Parteien in die Regierung retten: Aus dem ANC und den großen Oppositionsparteien gingen in den vergangenen Jahren etliche kleine Splitterparteien hervor. Auch unabhängige Kandidaten dürfen erstmalig antreten.

Allerdings könnte sich auch die größte Oppositionspartei Demokratische Allianz (DA) als Königsmacher herausstellen, nämlich dann, wenn die Mandela-Partei weit unter 50 Prozent holt. Als “Weltuntergangskoalition” bezeichnet DA-Führer John Steenhuisen eine mögliche Koalition zwischen dem ANC und den linkspopulistischen Wirtschaftlichen Freiheitskämpfern (EFF). Die derzeit drittstärkste Partei fordert eine Verstaatlichung von Banken und Bergwerken.

Auf nationaler Ebene sei die Prognose für eine Koalition “schwierig”, sagt Politologin Tessa Dooms in Johannesburg. Bei den Lokalwahlen hingegen steuerten voraussichtlich mindestens drei von Südafrikas neun Provinzen auf eine mögliche Mehrparteienregierung zu. “Um zu funktionieren, bräuchten Koalitionen eine gemeinsame Mission sowie Parteien, die willens sind, einander zur Rechenschaft zu ziehen”, so Dooms.

In einigen Städten, wo das ANC-Monopol bereits 2016 fiel, hat Südafrika eher leidliche Erfahrungen mit Koalitionen gesammelt. Etwa in Johannesburg: Die Stadt hatte in den vergangenen acht Jahren neun verschiedene Bürgermeister. Derzeit regiert mit Kabelo Gwamanda der Kandidat einer islamischen Partei, die bei der Wahl weniger als ein Prozent der Stimmen erhielt.

Roelf Meyer sieht die Sache gelassener. Der 76-jährige Polit-Veteran arbeitete als Minister unter der Apartheid- wie auch der ANC-Regierung und war maßgeblich an der Abschaffung der Rassentrennung beteiligt. Nun betonte er: “Wenn ich an Demokratie denke, sehe ich nicht nur die Verfassung und Politiker. Ich sehe die Bandbreite von Menschen in dieser wunderbaren Nation.” In sie habe er volles Vertrauen, so Meyer.