Studie belegt tödliche Medikamentenversuche an Kindern

An den Kranken- und Behindertenmorden der NS-Zeit beteiligte Ärzte konnten in der frühen Nachkriegszeit in der Landeskinderheilstätte Mammolshöhe im Taunus ungehindert teils tödliche Medikamentenversuche an jungen Tuberkulose-Patienten durchführen. Eine vom Landeswohlfahrtsverband Hessen (LWV) in Kassel in Auftrag gegebene und am Montag vorgestellte Studie bestätigt die Vorwürfe gegen den früheren Direktor der Einrichtung, Werner Catel. Unter Catels Verantwortung war in der Kinderheilstätte ab 1947 ein noch nicht zugelassenes Präparat zur Chemotherapie bei Tuberkulose an Kindern getestet worden. In mindestens vier Fällen führte der ohne Einwilligung der Eltern erfolgte Versuch zum Tod der Patienten.

„Der Fall zeigt exemplarisch, wie sich die ausbleibende kritische Auseinandersetzung der Medizin mit der eigenen Rolle im nationalsozialistischen Staat nach 1945 auswirken konnte“, lautet das Fazit der mit der Untersuchung beauftragten Historiker Volker Roelcke, Hans-Werner Schmuhl und Karsten Wilke. Catel hatte demnach als Direktor der Universitätsklinik in Leipzig und Gutachter des „Reichsausschusses zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden“ eine zentrale Rolle bei den Euthanasie-Morden der Nationalsozialisten gespielt. Nach Kriegsende war er von den sowjetischen Besatzungsbehörden abgesetzt worden und in den Westen geflüchtet. Nach seinem Dienstantritt im Taunus 1947 holte er zwei weitere an den Kindermorden beteiligte Ärzte aus Leipzig in die Heilstätte Mammolshöhe in Königstein.

Die Quellenstudien ergaben, dass die Personalie bereits Ende der 1940er Jahre in Hessen für Unmut sorgte. So sei Catels Berufung auf den Lehrstuhl für Kinderheilkunde an der Universität Marburg an seiner Rolle während der NS-Zeit gescheitert. Eine Untersuchung der Todesfälle in der Kinderheilstätte bei Königstein im Taunus verlief jedoch im Sande. Die Vorgänge seien „im Zusammenhang mit einer von Verschweigen, Verleugnen, Verharmlosen, Verzerren und Verdrehen der historischen Fakten geprägten Neuerfindung der Biografie Catels umgedeutet und umgewertet“ worden, befanden die Historiker. Eklatante Verstöße gegen Recht und Berufsethik hätten die Verantwortlichen im hessischen Innenministerium nicht thematisiert. Stattdessen seien unter Verweis auf die Versuchsreihe Catels Verdienste um die Tuberkuloseforschung hervorgehoben worden.

Bei ihrem Quellenstudium stießen die Historiker auch auf Hinweise und Zeugenaussagen darauf, dass es in der Ära Catel zu gewalttätigen Übergriffen des Personals auf die in der Heilanstalt untergebrachten Kinder kam. Körperliche Misshandlungen habe der Arzt demnach zu unterbinden versucht, während er zur gleichen Zeit potenziell lebensgefährliche Experimente für unproblematisch hielt.

Werner Catel leitete die Tuberkulose-Heilstätte noch bis 1954, dann übernahm er eine Professur an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Noch nach seiner vorzeitigen Emeritierung befürwortete er in den 1960er Jahren in einem Interview die Ermordung geistig behinderter Kinder. Es sei menschlicher, „die idiotischen Kinder von ihrem Unglück zu erlösen“.