Nur die Ruhe: In Bonn gibt’s jetzt ein “Stilles Museum”

Stille – viele Menschen sehnen sich im Alltag nach ihr. Nun wird das LVR-Landesmuseum in Bonn zum “Stillen Museum”. Was geplant ist.

Das LVR-Landesmuseum in Bonn wird zum "stillen Museum"
Das LVR-Landesmuseum in Bonn wird zum "stillen Museum"Imago / Depositfotos

Ein Gemälde bewundern, eine Skulptur bestaunen, sich von alten Schätzen aus früheren Zeiten in den Bann ziehen lassen – Museen locken Kulturinteressierte mit vielen Angeboten. Aber es gibt Menschen, denen solche Ausstellungsbesuche kein Vergnügen bereiten: Für Autisten, Hochsensible, psychisch Erkrankte und andere reizempfängliche Menschen kann ein Museumsbesuch zur Tortur werden, weil zu viele Eindrücke auf sie einprasseln.

Anne Segbers kennt das Thema. Die Museumspädagogin im LVR-Landesmuseum Bonn organisiert am 1. September erstmals ein “Stilles Museum”. Zwischen 9 und 11 Uhr wird es dort eine “stille Öffnungszeit” geben, in der keine geführten Gruppen unterwegs sein werden; so werden Menschenansammlungen vermieden. Workshops werden an dem Tag nur in kleinen Gruppen angeboten, ebenso Führungen mit einem Techniksystem, in das man sich mit eigenen Kopfhörern einklinken kann. Menschen, die Enge nicht gut aushalten können, könnten sich “auch ein Stück von der Gruppe entfernen und trotzdem alles hören”, erläutert Segbers. Ohnehin sei das Museum sehr groß, so dass sich Besucher dort gut verteilten.

“Stilles Museum” bietet Räume für Rückzug

An dem Tag werden die Ausgänge zudem verstärkt ausgeschildert, damit sich Menschen im Fall einer Überreizung und dem Gefühl “Ich muss hier raus” schnell orientieren können. Auch zwei von vier sonst für Workshops und Seminare genutzte Räume stehen für den Rückzug zur Verfügung.

“Außerdem bitten wir alle Besuchenden um besondere Rücksicht”, heißt es. Psychische Beeinträchtigungen sieht man Menschen meist nicht an. Deshalb können sich Besucherinnen und Besucher am Eingang einen Sonnenblumen-Button anheften – das internationale Zeichen für solche “unsichtbaren Behinderungen”.

Das Bonner LVR-Landesmuseum wird zum "Stillen Museum"
Das Bonner LVR-Landesmuseum wird zum "Stillen Museum"Imago / Depositfotos

Die Idee des “stillen Museums” stammt aus Großbritannien. Dort mache man sich viele Gedanken, wie ein Museumsbesuch für Menschen mit Autismus angenehmer gestaltet werden kann, weiß die Museumspädagogin. Für diese seien Ordnung und klare Strukturen wichtig; “sie möchten keine Überraschung erleben”. In Großbritannien gebe es in Museen beispielsweise spezielle Karten, damit sich Menschen mit Autismus auf bestimmte Dinge einstellen können: Menschenansammlungen vor einem besonderen Kunstwerk, erwartbare Geräusche oder plötzliches Licht durch Bewegungsmelder.

Für die Premiere dieses besonderen Museumstages hat sich die Museumspädagogin von Experten beraten lassen, und zwar von der Bonner Initiative Kunstraum für Autisten und der Stiftung Gemeindepsychiatrie Bonn-Rhein-Sieg. Anders als bei körperlichen Handicaps sei es bei “unsichtbaren Barrieren viel schwieriger, darauf zu reagieren”, sagt Dieter Lee von der Stiftung, die rund 2.000 Menschen mit psychischen Erkrankungen vertritt.

Auch Hintergrundmusik kann stören

Deshalb gab es vorab eine gemeinsame Führung mit Segbers durch das Museum, um mögliche Störfaktoren zu erkennen: grelles Licht, Hintergrundmusik im Museumscafé, Trittschall. All das könne “sehr störend sein”, erklärt Lee. Die Probebegehung und den geplanten stillen Tag verbucht er schon jetzt als vollen Erfolg. “Psychisch Kranke gehen oft unter; gut, dass sie jetzt einmal gesehen werden.”

Museumspädagogin Segbers ließ sich auch von einer Initiative des Bachmuseums in Leipzig inspirieren, das sich als erstes Museum in Deutschland auf die Bedürfnisse von Besuchenden mit Autismus eingestellt hat. Dort hat der Verein “Leipzig und Autismus”, kurz LunA, mit dem Museum unter anderem Flyer und Informationsmaterialien erarbeitet, die Menschen aus dem Autismusspektrum einen Besuch im Museum ermöglichen. Toiletten, Treppen und Ausgänge sind dort ebenso gekennzeichnet wie fensterlose, lichtintensive, laute, aber auch ruhige Räume. Dafür wurde das Museum von LunA als erste und bislang einzige Einrichtung überhaupt mit dem Siegel “Sensory Friendly – Sinnesfreundliche Umgebung” ausgezeichnet.

LVR-Landesmuseum setzt auf stillen Tag

Das hat sich rumgesprochen. Inzwischen gebe es immer wieder Anfragen von interessierten Museen und anderen Institutionen, erläutert LunA-Projektkoordinator Sebastian Petzold. Die ehrenamtliche Initiative komme bei der Beratung zu dem Thema nicht mehr. Schließlich seien eine umfassende Begehung und mehrere Gespräche nötig, bis ein Siegel erteilt werde. Alle Mitarbeitenden im Museum – bis hin zum Hausmeister – müssten in das Konzept einbezogen werden, “es muss Eingang finden in die Unternehmenskultur”. Das komme nicht nur Menschen mit Autismus zugute – “jeder profitiert davon, wenn eine summende Leuchtstoffröhre ausgetauscht wird”, sagt Pätzholt. Einrichtungen, die sich für die Gestaltung einer reizreduzierten Umgebung interessieren, verweist er auf die Internetseite des Vereins “Stille Stunde”.

Museumspädagogin Segber ist zuversichtlich, dass der stille Tag auch in Bonn ankommt. Wer einmal das Museum mit einer Assistenzperson oder einem Familienmitglied besucht “und den Ort für sich entdeckt hat, kommt auch an anderen Tagen wieder”. Wichtig sei, dass die Zielgruppe spüre: “Wir nehmen Eure Sorgen ernst – das ist auch ein Ort für Euch”.